Wie kann Krieg beendet werden?

Viele Linke setzen auf Diplomatie und das Handeln von Regierungen, wenn es darum geht Krieg und Aufrüstung zu stoppen. Was die Geschichtsbücher und Medien gerne ausblenden: Massenbewegungen spielen eine zentrale Rolle um Kriege zu stoppen. Die Redaktion erinnert an die Anti-Kriegs-Bewegung, die den Ersten Weltkrieg beendete

Seit Endes des Zweiten Weltkriegs gab es über 170 Kriege auf der Welt, aber sie fanden in der Regel nicht in Europa statt. Antikriegsbewegungen gab es trotzdem, so gegen den Vietnamkrieg (1964-1975), gegen Portugals Kolonialkriege bis 1974, gegen die Irakkriege 1991 und 2003 oder gegen den Afghanistankrieg und die andauernde Besatzung von 2001 bis 2021. Mit der drohenden Eskalation des Ukrainekriegs gewinnen die Erfahrungen mit früheren Friedens- und Antikriegsbewegungen neue Aktualität. In Vergessenheit geraten ist die wohl größte und bisher wirksamsten »Friedensbewegung« der Geschichte, nämlich jene, die dem Ersten Weltkrieg mit einer Welle von Massenstreiks, Meutereien bis hin zu Arbeiter:innen- und Soldatenaufständen in den Jahren 1917-1918 ein Ende setzte.

Es wird allgemein behauptet, die Novemberrevolution von 1918 in Deutschland sei gescheitert. Aber es gelang, den Ersten Weltkrieg zu beenden – den bis dahin größten und blutigsten Krieg der Menschheitsgeschichte. Sie gewann auch wichtige Reformen, die die Arbeiterbewegung in über einem halben Jahrhundert des Kampfes nicht erreichen konnte. Dazu gehörten das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer, die Bildung von Betriebsräten, der Achtstundentag und das Recht auf Tarifverhandlungen.

Frieden durch Meuterei und Aufstände

Der Aufstand im November 1918 begann mit einer Soldatenmeuterei auf Kriegsschiffen der Marine in Kiel und Wilhelmshafen in Norddeutschland. Etwa 80.000 Marinesoldaten waren zu einem »Manöver« nach Skageragg befohlen worden, aber sie glaubten, dass sie zu einem Zeitpunkt noch in die Schlacht geschickt werden sollten, als die Regierung schon Friedensgesprächen zugestimmt hatte. Und sie hatten gesehen, wie der Krieg ein Jahr zuvor durch einen Aufstand von Soldaten und Arbeiter:innen in Russland beendet worden war.

Als der Erste Weltkrieg im August 1914 begann, glaubte die große Mehrheit der Menschen den Lügen ihrer Regierungen – dass der Sieg in ihrem Interesse sei und allen ein besseres Leben bringen würde. Aber jetzt hatte die Wut auf den Krieg zu einer Desillusionierung gegenüber der Mainstream-Politik geführt.

Deutschlands sozialdemokratische Partei, die SPD, unterstützte den Krieg – der Widerstand im ersten Kriegsjahr war auf eine kleine Gruppe revolutionärer Sozialist:innen um Rosa Luxemburg und den Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht beschränkt.

Die Ideen des Klassenkampfes und des Internationalismus waren zwar verschüttet durch eine Woge des Nationalismus und der »Volksgemeinschaft«, aber sie waren deshalb nicht völlig verschwunden. Anders als in den bürgerlichen Schichten war der Patriotismus bei Lohnabhängigen brüchig. Nachdem die Hoffnungen auf einen raschen Sieg Deutschlands durch die Niederlage an der Marne verflogen war, wuchs die Skepsis. Der Sozialist Karl Retzlaw, der 1914 in einer Schuhfabrik arbeitete, schrieb: »An meiner Arbeitsstelle unterhielten sich die Kollegen täglich hinter vorgehaltener Hand, was Liebknecht wohl tun würde. Als ob es selbstverständlich wäre, erwartete man von ihm eine Aktivität, ohne sich mit ihm zu solidarisieren.«

Gegen den Krieg: Der Burgfrieden zerbrach nur langsam

Karl Liebknecht enttäuschte die in ihn gesetzten Erwartungen nicht. Am 3. Dezember 1914 stimmte er im Reichstag als einziger Abgeordneter gegen die Kriegskredite. Damit war der »Burgfrieden« der SPD-Führer:innen gebrochen, wenn auch nur durch eine einzige Stimme, die allerdings Millionen junger Arbeiter:innen bekannt war. Das Heer und besonders die Marine, mit ihrem hohen Anteil an Mechanikern und Facharbeitern, waren mit Kriegsausbruch nicht nur mehrheitlich proletarisch in ihrer sozialen Zusammensetzung, sie waren zugleich an ihrer Basis »sozialdemokratisiert«.

Die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges waren überall in Europa die gleichen. Der russische Marxist Leo Trotzki schilderte sie in seiner »Geschichte der russischen Revolution«: »Beim ersten Trommelschlag erstarb die revolutionäre Bewegung, die aktivsten Arbeiterschichten wurden mobilisiert … Es schien, als hätte der Krieg die Arbeiterklassen ausgetauscht.«

Das Massensterben auf den Schlachtfeldern und die Verelendung an der »Heimatfront« sorgten dafür, dass der Burgfrieden langsam aber sicher zerbrach. Was Trotzki für Russland schilderte, traf auch auf Deutschland zu: »Von der Kritik gehen die Massen zu Taten über. Die Empörung findet einen Ausweg zuallererst in Lebensmittelunruhen, die mancherorts die Form lokaler Meutereien annehmen. Frauen, Greise, Jugendliche fühlen sich auf dem Markt oder auf der Straße sicherer und unabhängiger als die dienstpflichtigen Arbeiter in den Betrieben.«

Lebensmittelkrawalle und Streikbewegungen

Eine Krise der Landwirtschaft infolge von Düngermittelmangel, Arbeitskräftemangel und unterlassenen Ersatz- und Reparaturinvestitionen führte dazu, dass die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland um über ein Drittel zurückging. Hungersnot im Jahr 1915 führt zu ersten Demonstrationen von Frauen und Jugendlichen, zu Plünderungen von Geschäften. »Die Zahl der Hausfrauen, die ihrem Unmut offen Ausdruck geben, wächst ständig«, heißt es in einem Stimmungsbericht des Berliner Polizeipräsidenten Anfang 1916, »und in den unteren Schichten des Volkes herrscht eine bedenkliche Gereiztheit.«

Die Lebensmittelkrawalle vom Winter 1915/16 waren der Beginn einer Kette von wirtschaftlichen und politischen Streiks und schließlich Meutereien in der Armee, die in der Revolution vom 9. November schließlich ihren Höhepunkt fand.

Der Sozialist Paul Fröhlich beschreibt in der »Illustrierten Geschichte der Deutschen Revolution« anschaulich, warum die ökonomischen und dann auch politischen Massenstreiks die Soldatenaufstände von 1917/18 vorbereiten mussten.

Revolutionäre Soldaten mit der Roten Fahne am 9. November 1918 vor dem Brandenburger Tor in Berlin

»Der Klassenkampf des Proletariats kennt eine ganze Skala von Kampfmitteln, die er durchläuft, bis er im bewaffneten Aufstand gipfelt. Der revolutionäre Kampf der Soldaten und Matrosen der imperialistischen Heere hat diesen weiten Spielraum nicht. Hier ist das vorbereitende Stadium der … Forderungen nach besserer Behandlung und Verpflegung bald durchschritten, sobald die revolutionäre Bewegung im Heere stärker politisch gefärbt wird, steht sie fortwährend vor der Frage des Aufstandes. Der Arbeiter kann seine Arbeitskraft verweigern und dadurch die Produktion lahmlegen. Wenn der Soldat streikt, wenn er Gehorsam verweigert, wenn das einzeln kleine Truppenteile tun … , dann können sie dabei nicht stehen bleiben. Sie werden niedergeschossen oder sie müssen schießen.«

Zwei große politisch Hindernisse galt es zu überwinden: einerseits die Angst vor der Repression der Militärregierungen, und – fast noch wichtiger – die an Parteidisziplin gewohnte Loyalität der sozialdemokratischen Arbeiter:innen und Soldaten gegenüber ihrer Parteiführung. Die spontanen Hungerdemonstrationen bereiteten den Weg für die ersten großen politischen (1916) und ökonomischen (1917) Streikbewegungen den Weg.

Im Kieler Hafen und auf Schiffen wurde die rote Fahne gehisst

Der ursprüngliche Glaube an die Vorteile des Krieges verwandelte sich bald in Verzweiflung. Für Soldaten führte diese Verzweiflung zu Hass auf ihre Offiziere – da Millionen deutscher Soldaten getötet und verwundet worden waren. Im August 1917 wurde die erste Meuterei in der Marine niedergeschlagen und die Anführer des Aufstands inhaftiert – zwei von ihnen wurden hingerichtet.

Doch gut ein Jahr später zeigten die Soldaten, dass sie aus dieser Niederlage gelernt hatten. Nach einem Aufstand unter den Marineeinheiten am 30. Oktober rückten Offiziere aus und nahmen einige hundert Aufständische fest.

Als Reaktion darauf verließen die Linkssozialisten unter den Soldaten ihre Schiffe und trafen sich mit Arbeiter:innen in den Werften. Sie wählten Sprecher:innenräte und riefen zu einer gemeinsamen Kundgebung am 1. November auf.

Dies entwickelte sich zu einer bewaffneten Massendemonstration – etwa 10.000 Soldaten und Arbeiter:innen marschierten durch die Straßen Kiels und forderten die Freilassung ihrer Kamerad:innen. Eine Gruppe von Offizieren schoss auf sie und tötete Frauen und Kinder an der Spitze der Demonstration. Die Soldaten schossen zurück und töteten den führenden Offizier. Dies war der Wendepunkt und es gab keinen Weg zurück. Die bewaffnete Demonstration verwandelte sich in einen Aufstand. Die Gefängnisse wurden gestürmt und die festgenommenen Soldaten freigelassen.

Am nächsten Tag wählten die Soldaten auf Massenkundgebungen Sprecher und bildeten einen Soldatenrat, der Entscheidungen traf und den Betrieb der Schiffe in ihrem eigenen Interesse koordinierte. Später am Abend übernahm der Soldatenrat das Kommando über 40.000 bewaffnete Marinesoldaten. Nur ein paar Tage später, am 5. November, erschüttert ein Generalstreik die Docks und Fabriken von Kiel. Im Hafen und auf den Schiffen wird die rote Flagge gehisst. Nur das Schiff »König« wird von seinen Offizieren gehalten. Doch in einem kurzen Gefecht wurde der führende Offizier erschossen.

Russische und deutsche Soldaten feiern das Ende des Krieges an der Ostfront.

Innerhalb von zwei Tagen folgten auf den Kieler Aufstand erfolgreiche Meutereien in allen großen Häfen, darunter Hamburg, Wilhelmshafen, Cuxhaven und Rostock.

In Hamburg beteiligten sich am 6. November 40.000 Menschen an einer spontanen Demonstration für eine Arbeiterräte-Republik. Die Zeitung des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates verkündete: »Es ist der Anfang der deutschen Revolution, der Weltrevolution! Glückauf zur gewaltigsten Tat der Weltgeschichte! Es lebe der Sozialismus! Es lebe die deutsche Arbeiterrepublik! Es lebe der Weltbolschewismus!«

Die Monarchie fällt

Nachdem mit Hamburg die erste deutsche Großstadt an die Revolution gefallen war, folgten schnell weitere: am 6. November Bremen, Altona, Rendsburg und Lokstedt, am 7. November Köln, München, Braunschweig und Hannover, am 8. November Oldenburg, Rostock, Magdeburg, Halle, Leipzig, Dresden, Chemnitz, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Darmstadt und Nürnberg. Die Revolution war in wenigen Tagen über das ganze Land hinweg gebraust. Überall das gleiche Bild von Massenaufmärschen der Arbeiter:innen und Soldaten unter roten Fahnen. Die kaiserliche Macht war von der Bildfläche verschwunden. Ihr blieb nur noch Berlin.

Dort blieben Massenaktionen wie in den anderen Städten zunächst aus und die Polizei schien die Kontrolle zu behalten. Die Leitung des Spartakusbundes um die späteren KPD-Gründer:innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wollten am 8. November losschlagen. Richard Müller, der Sprecher des Obleuteausschuss aus gewählten Vertreter:innen der Berliner Großbetriebe plante den Aufstand zunächst für den 11. November. Der Spartakusbund war auf die Zustimmung der Obleute angewiesen, schließlich rief der Obleuteausschuss für den 9. November zum Generalstreik auf. Die Obleute hatten in den Wochen vorher Waffen beschafft, sodass die riesigen Demonstrationen an ihrer Spitze immer eine Einheit bewaffneter Arbeiter:innen hatten.

Der Aufruf zum Generalstreik traf auf riesige Unterstützung. Hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter zogen in das Berliner Stadtzentrum und aus den Kasernen schlossen sich ihnen die Soldaten an.

Das Polizeipräsidium wurde besetzt, die Polizei entwaffnet und ein neuer revolutionärer Polizeichef ernannt. Vom Fenster des besetzten Berliner Schlosses rief Liebknecht die »Freie sozialistische Republik Deutschland« aus. Er forderte die versammelte Menge auf, die Hand zum Schwur auf die sozialistische Republik und die Weltrevolution zu erheben. Tausende Hände erhoben sich.

Die SPD wollte nicht so weit gehen wie Liebknecht und fürchtete vielmehr eine Radikalisierung der Massen. Ihr Vorsitzender Friedrich Ebert lehnte die Abschaffung der Monarchie ab, weil er fürchtete, dies würde »freie Fahrt für den Bolschewismus« bedeuten. Doch unter dem Druck der Massen rief der SPD-Mann Philipp Scheidemann vom Reichstag aus fast gleichzeitig mit Liebknecht die Republik aus. Die Monarchie in Deutschland war gestürzt. Es sollte nicht das letzte europäische Land sein, in dem die Arbeiterinnen und Soldaten in den folgenden Monaten und Jahren die alte Herrschaft stürzten.

Krieg: Nicht nur Militarismus gehört bekämpft

Es war ein spontaner Aufstand, aber die Ideen, die dahinter standen, waren von Karl Liebknecht und seinen Mitstreiter:innen entwickelt worden, nämlich die Verwandlung des imperialistischen Kriegs der Herrschenden Klasse in einen Bürgerkrieg gegen diese – eine Revolution von unten für eine sozialistische Gesellschaft. Am 1. Mai 1916 hatte er mit seinem Spartakusbund die erste Massenkundgebung gegen den Krieg mitten in Berlin organisiert. Trotz der Immunität, die er als Abgeordneter genoss, wurde er verhaftet. Er konnte nur noch »Nieder mit dem Krieg!« rufen, bevor er verhaftet und bis zum Ende des Krieges inhaftiert wurde.

Im Mai 1915 hatte Liebknecht ein Flugblatt verfasst, das in den Fabriken und unter den Soldaten weithin und illegal verteilt wurde. Darin heißt es: »Der internationale proletarische Klassenkampf ist die sozialistische Aufgabe der Stunde. Der Hauptfeind eines jeden Volkes steht im eigenen Land. Der Hauptfeind des deutschen Volkes ist der deutsche Imperialismus.«

Internationalismus und Klassenkampf sind die entscheidenden Waffen im Kampf gegen den Imperialismus. Nicht der Appell an die Herrschenden, »an den Verhandlungstisch zurückzukehren«, sondern der Aufruf zu revolutionären Massenaktionen war der wichtigste erste Schritt, den Karl Liebknecht und seine Gruppe um den Spartakusbund noch im ersten Kriegsjahr machte. Am Anfang blieb der Aufruf ohne große Wirkung. Aber jeder große Krieg hat seine eigene, furchtbare und unberechenbare Dynamik, die den Widerstand der Massen hervorruft.

Die Lehren aus dem Aufstand von 1918 gegen die blutige Kriegsmaschinerie sind auch heute noch gültig.


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