Die Bundestagswahl am 23. Februar hat einen dramatischen Rechtsruck im Bundestag gebracht. Die Nazi-AfD hat ihre Stimmenzahl mehr als verdoppelt und ist, mit wenigen Ausnahmen, stärkste Kraft im Osten. Eine Auswertung der politischen Leitung von Sozialismus von unten
Insbesondere Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Unionsparteien, fuhr über Monate hinweg eine rassistische Kampagne. Er überschlug sich mit Forderungen nach Abschiebungen „ausländischer Gewalttäter“ und „illegaler Einwanderer“. Er sprach kurz vor der Bundestagswahl faktenwidrig von “täglich stattfindenden Gruppenvergewaltigungen aus dem Milieu der Asylbewerber heraus”.
Merz hatte gehofft, der Nazi-AfD Stimmen abnehmen zu können, in dem er, wie Alice Weidel am Wahlabend feststellte, deren rassistisches Programm abschreibt. Aber die einzige Partei, die davon profitierte, war die AfD. Rassistische Argumente werden immer der rechtesten Partei nutzen.
Mit dem Tabubruch, sein “Zustrombegrenzungsgesetz” mithilfe der Stimmen der Nazis durchbringen zu wollen, hat er außerdem zu einer weiteren Normalisierung der AfD geführt.
Unbeliebter Wahlsieger Merz
Die größte Fraktion im Bundestag werden die Unionsparteien CDU und CSU bilden, obwohl ihr Kanzlerkandidat persönlich sehr unbeliebt ist. Es sind die Schwäche und die Unglaubwürdigkeit von SPD, Grünen und FDP nach drei Jahren Ampelregierung, von denen Merz profitieren konnte.
Insgesamt sind die Verluste der Ampelparteien mit fast 20 Prozentpunkten dramatisch.
Am stärksten hat die SPD verloren, die von 25,7 Prozent 2021 auf 16,4 Prozent, und damit auf ihr historisch niedrigstes Ergebnis, gefallen ist. Sie stellt zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik nur noch die drittstärkste Fraktion.
Die meisten Stimmen, über 1,7 Millionen, hat die SPD an die Union verloren. Die Umfragen zeigen, dass die Wechselwähler, die zur CDU/CSU gegangen sind, vor allem deren Angriffe auf Migrant:innen und Bürgergeldempfänger:innen richtig finden.
Die Anpassung der SPD in beiden Themenfeldern an die rechte Rhetorik von AfD und Union hat ein Klima geschaffen, in dem rechte Positionen allgemein anerkannt wurden und diese den traditionell rechteren Parteien mehr zugeschrieben wurden. Die SPD schafft sich auf diese Weise selbst ab.
Der SPD geschadet hat sicherlich auch, dass die unteren Lohngruppen, klassisches SPD-Klientel, in den letzten Jahren Reallohnverluste von bis zu 20 Prozent hinnehmen mussten, während die Reichen immer reicher wurden. Nur noch etwa die Hälfte der Deutschen halten die SPD für eine Partei, die den sozialen Ausgleich anstrebt.
Diese Entwicklung hat den Grünen nicht geschadet. Sie konnten sich auf einem relativ hohen Niveau halten (11,6 Prozent). Das Ergebnis liegt zwar hinter ihrem bisherigen Rekordergebnis bei der letzten Wahl (14,8 Prozent), ist aber immer noch das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte. Und sie haben von den Regierungsparteien am wenigsten eingebüßt.
Nazi-AfD stark wie nie
Der Rechtsruck des gesamten politischen Establishments und des Bündnises Sarah Wagenknecht (BSW) in der Migrationsdebatte hat dazu geführt, dass sich die AfD von 10,3 Prozent auf 20,8 Prozent mehr als verdoppeln konnte.
Die AfD begann 2013 als rechtspopulistische Partei mit einem faschistischen Flügel. Jetzt ist sie eine faschistische Partei ohne nennenswerten internen Widerstand gegen den völkischen Nationalismus von Björn Höcke und die Zusammenarbeit mit Nazis außerhalb der Partei.
Im herrschenden rechten Klima mobilisierte die AfD einen beachtlichen Anteil an Nichtwählern für sich. Außerdem wählten vor allem Arbeiter und Angestellte die AfD. Die AfD ist mittlerweile die stärkste Partei unter Arbeiter:innen und Arbeitslosen. Viele waren von der Politik der SPD enttäuscht und schauten sich nach einer “Alternative” um.
Besonders im Osten erzielten die Nazis erschreckend hohe Ergebnisse (Sachsen 37 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern 35 Prozent, Brandenburg 32 Prozent). Aber die Ergebnisse im Westen zeigen, dass der Rechtsruck kein Ost-Phänomen ist. Die AfD ist auch im Westen eine starke Kraft, wo sie außerhalb der Stadtstaaten zwischen 15 und 20 Prozent erzielen konnte.
Es hat sich erneut gezeigt, dass eine Eindämmung von Nazi-Parteien nicht durch eine Übernahme ihrer rassistischen Positionen erreicht werden kann – im Gegenteil, diese stärkt sie.
Gegenmacht zur AfD
Hunderttausende demonstrierten nach den Enthüllungen des Recherchekollektivs „Correctiv“ im Januar 2024. Motiviert davon organisierten sich Tausende in lokalen und bundesweiten Bündnissen und antirassistischen Organisationen wie Widersetzen, Studis gegen Rechts oder Aufstehen gegen Rassismus.
Die Bewegung hat seitdem einiges auf die Beine gestellt und den Kampf gegen Rassismus wieder auf die Tagesordnung gesetzt. So gab es massenhafte Blockaden gegen die Parteitage der AfD in Essen letztes Jahr und in Riesa dieses Jahr. Lokale Aktivitäten der AfD wurden mit Gegenkundgebungen begleitet. Die Bewegung beantwortete so gut wie jeden Auftritt der AfD-Prominenz mit Gegenmobilisation, wie die 18.000 Demonstrant:innen bei Weidels Auftritt im Hamburger Rathaus im Januar eindrucksvoll zeigten.
Es hat sich gezeigt, dass das nicht ausreichend war. Der Bewegung ist es nicht gelungen, die Aktivitäten der Nazis durch massenhafte und entschlossene Aktionen zu stoppen – dafür waren die Mobilisierungen jeweils entweder nicht breit oder nicht entschlossen genug.
Es ist außerdem nicht gelungen, dem Rassismus der herrschenden Parteien und ihrer Medien etwas entgegenzusetzen. Das Klima der Hetze konnte nicht durchbrochen werden.
Und es ist nicht ausreichend gelungen, eine linke Alternative zur herrschenden Politik der Umverteilung von unten nach oben, aber auch der Aufrüstung und Kriegstreiberei, aufzubauen. Die AfD konnte dieses Vakuum für sich nutzen und sich als „Partei der kleinen Leute“ und sogar als Friedenspartei darstellen.
Linke ist Pol der Hoffnung
Der Hoffnungsschimmer bei dieser Wahl ist die Auferstehung der Partei Die Linke. Monatelang lag sie in den Umfragen teils deutlich unter 5 Prozent. Innerhalb weniger Wochen konnte sie das Blatt wenden und schließlich mit 8,8 Prozent in den Bundestag einziehen.
Gelungen ist der Linken diese Wende durch den Einsatz vieler engagierter Mitglieder und Sympathisant:innen in einem aktiven Wahlkampf. Die Partei hat es außerdem geschafft, mit ihren Positionen in sozialen Fragen zumindest teilweise in die Lücke vorzustoßen, die die SPD hinterlassen hat. Sie füllte die Leerstelle als linke soziale Opposition und sprach mit dem Fokus auf Miete und Lebenshaltungskosten eine reale Sorge in der Arbeiterklasse angesichts von hohen Reallohnverlusten und explodierenden Mieten an.
Und sicherlich hat zum Erfolg auch beigetragen, dass die Partei sich im Wahlkampf mit Geschlossenheit und guten Auftritten, auch in sozialen Medien, gezeigt hat.
Links kommt von Bewegung
Aber den entscheidenden Durchbruch gab es erst im Zuge der Massenproteste gegen die Anbiederung von Merz an die AfD im Bundestag Ende Januar. In dieser polarisierten Stimmung, mit wieder Hunderttausenden auf den Straßen, war die Linke in den Augen vieler Wähler:innen die einzige sichere Alternative zu einem potenziellen rechten Bündnis.
Robert Habeck sagte am Wahlabend richtig, die Grünen hätten einige Stimmen an die Linke verloren, weil sie eine Koalition mit Merz‘ CDU/CSU nicht ausschließen wollten.
Obwohl die Wahlstrategie der Linken war, strittige Wahlkampfthemen wie “Migration” und die Ablehnung von Aufrüstung und Krieg auszusparen und sich statt dessen auf soziale Themen zu beschränken, konnte die Linke in dieser Debatte gewinnen – weil sie sich als einzige politische Kraft dem Rassismus entgegenstellte, als es zur Eskalation im Bundestag kam.
Durch eine mobilisierende Wahlkampagne wurden viele, vor allem junge Menschen, eingebunden. Die Linke ist mit 27 Prozent stärkste Kraft unter den Erstwähler:innen, holte 35 Prozent bei jungen Frauen. In Berlin wurde sie mit 19,9 Prozent der Stimmen stärkste Partei und gewann fünf Direktmandate, auch eine Quittung für die radikale Kürzungspolitik der Berliner Regierung von CDU und SPD
Konflikte in der Linken bleiben
Die demonstrierte Einigkeit steht allerdings auf wackeligen Füßen. Politische Konflikte sind aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Ob zum Beispiel die neuen Mitglieder bereit sind, es hinzunehmen, wenn israel-kritische Stimmen zum Schweigen gebracht werden, muss sich zeigen.
Die Verschiebung der geopolitischen Lage und die imperialistischen Ambitionen der Bundesregierung und der EU erfordern ein hohes Maß an politischer Klarheit. Angesichts des Nichteinzugs des BSW ist die Linke die einzige Antikriegspartei im neuen Bundestag.
Ob die Linke der Aufgabe gewachsen ist, sich gegen Waffenlieferungen, weitere Aufrüstung und kommende Bundeswehreinsätze zu stellen, wird sich erst zeigen müssen.
Das BSW hat sich in dieser Wahl vollständig diskreditiert. Migrationsfeindliche Forderungen im Wahlkampf, und insbesondere die Zustimmung zu dem “Zustrombegrenzungsgesetz” gemeinsam mit Union und AfD im Bundestag, haben deutlich gemacht, wie tief einige der ehemaligen Linken gesunken sind.
Mit den Koalitionen in Brandenburg und Thüringen haben sie ihr Ansehen als Protestpartei verloren. Einzig ihre Positionierung zu Gaza oder gegen die Ukraine-Politik der Regierung waren für einige aus dem linken gesellschaftlichen Lager noch ein Grund, BSW zu wählen.
Wie verändern wir die Kräfteverhältnisse?
Es stellt sich die Frage, wie die Kräfteverhältnisse wieder verändert werden können. Klar ist: Die Proteste gegen die AfD müssen nach der Wahl weitergehen – breit und entschlossen.
Die kommende Regierung wird vermutlich eine Koalition aus CDU/CSU und SPD. Die globalen Rahmenbedingungen sind die globale wirtschaftliche Krise und die Zuspitzung von Handelskonflikten und militärischen Rivalitäten.
Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die neue Regierung Merz ihre Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse verstärken wird, um die Gewinne der Kapitalisten zu erhöhen und so „Deutschland fit zu machen“ in der internationalen Konkurrenz.
Aus Angst vor dieser neuen Regierung hat die Eisenbahnergewerkschaft EVG letzte Woche bereits einem katastrophalen Abschluss mit der Deutschen Bahn zugestimmt, der weitere deutliche Reallohnverluste bringt.
Das ist genau die falsche Antwort. Angesichts der zu erwartenden Angriffe auf unseren Lebensstandard ist es umso wichtiger, Umverteilung von oben nach unten in jeder Tarifrunde durchzusetzen.
Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst ist die nächste Gelegenheit dazu. Die Arbeitgeberseite hat auch in der zweiten Tarifrunde kein Angebot vorgelegt, weshalb ver.di in den kommenden Tagen in verschiedenen Bundesländern zu Warnstreiks aufruft.
Aufstehen gegen Rassismus gegen AfD
Und die kommende Regierung wird weiterhin rassistische Lügen verbreiten. Je stärker ihre Angriffe auf uns, desto mehr Hetze gegen Sündenböcke werden sie betreiben.
Wir müssen in der öffentlichen Debatte den Rassismus bekämpfen. Wir brauchen Solidarität mit denen, die rassistisch angegriffen werden.
Angesichts der hohen Stimmenanteile unter Arbeiter:innen, Angestellten und Gewerkschaftsmitgliedern für die AfD stellt sich die Aufgabe, den Kampf gegen Rassismus und die Gegenwehr gegen soziale Angriffe zu verbinden. Rund ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte. Die Überwindung des Rassismus ist eine Voraussetzung für den gemeinsamen Kampf gegen die Kapitalisten.
Und andersherum kann die Gegenwehr gegen die drohende Abschiebungen von geduldeten Kolleg:innen ein wichtiger Ansatz werden, den Rassismus zu bekämpfen.
Es war wichtig, dass sich ver.di nach dem kürzlichen Anschlag mit einem Auto auf eine ver.di Demonstration in München durch einen jungen Afghanen antirassistisch positionierte und sich gegen eine Instrumentalisierung der Tat durch die AfD verwehrte.
Der Kampf gegen die AfD und eine neue Welle von Rassismus, gegen die zu erwartende soziale Angriffe sowie der Widerstand gegen die Aufrüstung und die imperialistischen Ambitionen Deutschlands bleiben auch nach der Wahl die große Herausforderung.
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Foto: Steffen Prößdorf (CC BY-SA 4.0)