UNRWA-Verbot: Wird Israel den Genozid in der Westbank fortführen?

Die Knesset hat die UNRWA als Terrororganisation verboten. Eine Einschätzung der aktuellen Situation und wohin sie führen könnte. Von Simo Dorn

Diese Woche hat das israelische Parlament Knesset das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Geflüchtete im Nahen Osten (UNRWA, englisch: United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) als Terrororganisation auf ihrem Staatsgebiet verboten. Es folgt der Logik des israelischen Besatzungsregimes, Ostjerusalem als auch die gesamte Westbank und Gaza als israelisches Staatsgebiet zu betrachten und die UN-Organisation auch dort unter israelisches Militärrecht zu stellen und zu verfolgen.

Wer ist die UNRWA?

Die Arbeit der UNRWA ist eine Existenzgrundlage der mehr als fünf Millionen Palästinenser:innen unter israelischer Besatzung in Gaza und der Westbank. Viele dieser Menschen sind auf Grund der immer weiter fortschreitenden Vertreibungen durch die israelische Besatzungsarmee Geflüchtete im eigenen Land, teilweise seit Jahrzehnten oder gar der Nakba selbst. Darüber hinaus arbeitet die Hilfsorganisation aber auch in Jordanien, dem Libanon und Syrien. Im Jahr 2022 hatte die UNRWA ein Budget von etwa 1,6 Milliarden US-Dollar, um ihre Programme und Dienstleistungen in Gaza und der Westbank aufrechtzuerhalten. 

Die Menschen wie auch die UNRWA in Gaza selbst sind mit Beginn des Genozids im Oktober 2023 vollständig von jeder Form von humanitärer Versorgung abgeschnitten. UN-Mitarbeitende sowie deren Einrichtungen wurden, ebenso wie Journalist:innen in Gaza, Opfer von gezielten Bombardierungen. Bereits 2023 hatten die israelischen Offiziellen der UNRWA unterstellt, Teil von Hamas zu sein oder zumindest von den Widerstandskämpfern unterwandert worden zu sein. Diese Behauptungen dienen der Erzählung der legitimen Selbstverteidigung Israels, die weniger von Israel selbst als von seinen westlichen Partner:innen vorgetragen wird. Ob sie der Wahrheit entsprechen, ist mit Blick auf den Charakter der israelischen Propaganda äußerst fragwürdig.

Vorwürfe des Verbots

So werden die Behauptungen nun fortgeführt, dass die UNRWA die Interessen der palästinensischen Bevölkerung nicht neutral vertrete, UN-Mitarbeidende würden Kontakt zu Militanten halten, die UNRWA sei ineffizient oder dass die Existenz der UNRWA den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina behindern würde. Alle diese Anschuldigungen gilt es konsequent zurückzuweisen und auf die materialistischen Verhältnisse der Menschen hinzuweisen, die auf die Arbeit der Hilforganisation angewiesen sind und was die Gründe sind, dass es die Hilfsorganisation überhaupt benötigt: Die Gründung des siedlerkolonialen Apartheidprojektes Israel in 1948 und die damit verbundene ethnische Säuberung durch die Nakba, die bis zum heutigen Tag andauert.

Davon ausgehend muss der Grund, weshalb die UNRWA in Gaza zerstört und nun insgesamt verboten wurde, ebenso in die israelische Kriegsdynamik eingebettet werden, wie die Fragen, weshalb die IDF der Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon (UNIFIL, englisch: United Nations Interim Force in Lebanon) befohlen haben, das Gebiet zu verlassen und sie daraufhin beschossen haben und den UN-Stützpunkt mit einem Kampfpanzer stürmten. Die UN-Truppen und Mitarbeitende im Kriegsgebiet sind unabhängige Zeug:innen des militärischen Vorgehens Israel in Gaza und dem Libanon. Als solche muss die IDF sie in ihrer Strategie der Kriegsführung sehen und als solche müssen wir sie verstehen.

Westbank-Genozid?

Die fortlaufende Liste an Kriegsverbrechen Israels in der gesamten Region wird zu einer zunehmenden Belastung der israelischen Reputation vor dem initiierten Verfahren am Internationalen Strafgerichtshof und der Öffentlichkeit – gerade im Westen, wo die bedingungslose Unterstützung des zionistischen Projektes immer ihren Ursprung hatte. 

Der Schritt Israels, die UNRWA nun auch in der Westbank zu verbieten und dies militärisch durchzusetzen, dient im gleichen Verständnis der Beseitigung von unabhängigen Zeug:innen. Dies kann nur notwendig sein, wenn die Ausweitung der Gewalt, der willkürlichen Inhaftierungen, der Bombardierungen und des Genozid auf die Westbank zum Plan der israelischen Kriegsführung gehört. Die israelische Gewalt in der Westbank hat bereits im September immens zugenommen. Darüber hinaus stellt diese UN-Organisation die kritische Infrastruktur der Westbank und Gazas dar. Ein bewusste und vollumfängliche Zerstörung kritischer Infrastruktur ebnet die Entwicklung von unmenschlichen Lebensbedingungen und der systematischen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus der Westbank, etwa nach Jordanien, auf Grund der lebensfeindlichen Verhältnisse in der Westbank.

Ob die IDF den Genozid in Gaza auf gleiche Weise in der Westbank fortsetzen wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt spekulativ und nicht vorhersagbar. Gleichzeitig müssen gerade weil diese Gefahr besteht, unsere Forderung nach einem sofortigen Stopp der Waffenlieferungen umso lauter werden. Die Zwei-Staaten-Lösung ist eine Illusion westlichen Imperialismus und Machterhaltes und gehört genauso abgelehnt wie die israelische Besatzung Gazas und der Westbank als Ganzes. Schluss mit der deutschen Unterstützung von Genozid und Besatzungsterror.


Titelbild: tasnimnews