Mitglieder von Sozialismus von unten werden aktuell zu ihrer Haltung zum Krieg in Gaza und Palästina allgemein gefragt. Hier geben wir Antworten auf einige der am häufigsten gestellten Fragen
Haben die Menschen in Palästina ein Recht auf bewaffenten Widerstand gegen die israelische Besatzung?
Ja. Wir fallen nicht hinter das Völkerrecht zurück und gestehen einer Bevölkerung unter Besatzung das Recht auf Widerstand zu, auch auf bewaffneten. Dieses universelle Recht von der jeweiligen Ethnie oder Religion der Besetzten oder Besetzenden abhängig zu machen, halten wir für rassistisch.
Israel hat das Land Palästina besetzt und die ansässige Bevölkerung teils vertrieben und teils über Jahrzehnte unterdrückt. Wir sind mit dem Widerstand gegen diese Verbrechen solidarisch, auch wenn wir nicht jede Handlung oder politische Orientierung des Widerstandes gutheißen.
Gleichzeitig kritisieren wir die Akteur:innen des Widerstandes für ihre Politik, insofern sie aus unserer Perspektive nicht hilfreich für den Erfolg des Widerstandes ist.
Palästina steht unter militärischer Besatzung durch Israel
Gibt es auch friedlichen Protest der Palästinenser:innen gegen die Besatzung?
Kritiker:innen des bewaffneten Widerstandes argumentieren häufig, die Palästinenser:innen könnten sich ja auch friedlich wehren. Sie übersehen dabei, dass es diesen friedlichen Widerstand tagtäglich gibt – und, dass die Palästinenser:innen dabei regelmäßig mit der bewaffneten Gewalt der Armee oder Siedler konfrontiert werden.
Das bekannteste Beispiel ist der gewaltlose »Great March of Return«, der 2018-19 stattfand und der die Beendigung der israelischen Blockade des Gazastreifens und das Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge forderte.
Bei diesen friedlichen Protesten am Grenzzaun des Gazastreifens wurden 223 unbewaffnete Palästinenser:innen von israelischen Scharfschützen erschossen, davon 46 Minderjährige. Außerdem wurden 8.079 Menschen durch scharfe Munition verletzt, darunter auch medizinisches Personal und Journalist:innen.
Ähnliche Erfahrungen machen Aktivist:innen im Westjordanland, wenn sie mit Demonstrationen oder Sitzblockaden zum Beispiel die willkürlichen Zerstörungen von Häusern durch die Armee verhindern wollen. Diese Geschichten schaffen es nicht in unsere Nachrichten, wenn nicht, wie in einem Fall in Rafah, eine US-Aktivistin, Rachel Corrie, von der israelischen Armee getötet wird.
Zu dem zivilen Widerstand gehört auch die BDS-Kampagne, die versucht, den politischen und wirtschaftlichen Druck auf Israel nach dem Vorbild der weltweiten Boykottkampagne gegen das südafrikanische Apartheidsregime zu erhöhen. Auch diese Kampagne wird in Deutschland kriminalisiert.
Aktuell gibt es eine Kampagne verschiedener NGOs gegen Waffenlieferungen an Israel. Diese wird von uns aktiv unterstützt.
Wir blicken auf 75 Jahre Nakba in Palästina
Wie bewertet ihr am 7. Oktober 2023 begangene Kriegsverbrechen?
Mögliche Kriegsverbrechen, die am 7. Oktober 2023 von beiden Seiten begangen wurden, sollten von unabhängiger Stelle untersucht werden und werden von uns nicht gutgeheißen.
Milizen verschiedener palästinensischer Organisationen, darunter auch der Fatah von Präsident Abbas, haben unter der Führung der Hamas-Miliz am 7. Oktober die militärische Absperrung des Gazastreifens durchbrochen und gezielt und erfolgreich Militäreinrichtungen angegriffen. Das fällt aus unserer Sicht unter das Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Besatzung.
Wir sehen diese militärische Operation als Antwort auf 75 Jahre Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser:innen durch Israel, insbesondere der über 16 Jahre andauernden hermetischen Abriegelung des Gazastreifens zu Luft, Land und See durch das israelische Militär.
Unterstützt ihr die Hamas?
Nein, wir unterstützen die Hamas nicht. Wir erkennen das Recht auf Widerstand gegen Besatzung an und sind in diesem Sinne solidarisch mit diesem Widerstand, ohne besondere Bedingungen zu stellen.
Unsere Solidarität ist allerdings nicht kritiklos. Wir kritisieren die bürgerliche, nationalistische Politik ihrer historischen und gegenwärtigen Führungen, wie PLO oder Hamas, insbesondere wenn sie sich auf reaktionäre arabische Regime anstatt auf den Widerstand der Bevölkerung stützen und hauptsächlich auf militärischen Widerstand setzen, statt auf den Aufbau von Klassenkampf und von Bewegungen gegen die Herrschenden in der Region.
Ist die Hamas eine terroristische Organisation?
Wir lehnen die Diffamierung von Organisationen des nationalen Befreiungskampfes als »Terrororganisationen« ab – sie dient der Delegitimierung des Widerstandes. So wurde Nelson Mandela im Rahmen der deutschen Unterstützung für die Apartheid in Südafrika ebenso als Terrorist diffamiert wie aktuell die kurdische Arbeiterpartei PKK.
Die Mudschaheddin in Afghanistan wurden als Freiheitskämpfer bezeichnet, solange sie gegen die damalige sowjetische Besatzung, und als Terroristen, als sie gegen die Besatzung durch NATO-Truppen kämpften – obwohl es teils die selben Leute und mit denselben Methoden waren.
Hamas ist eine Massenorganisation, die eine Verankerung in der palästinensischen Bevölkerung hat. Sie ist eine Partei, ein Netzwerk sozialer Dienstleistungen und eine Organisation des bewaffneten Kampfes.
Ist der Widerstand der Hamas antizionistisch und/oder antisemitisch?
Auf Seiten der Hamas gibt es widersprüchliche Aussagen. In der Charta der Hamas von 2017 heißt es: »Die Hamas bekräftigt, dass ihr Konflikt mit dem zionistischen Projekt und nicht mit den Juden aufgrund ihrer Religion besteht. Die Hamas kämpft nicht gegen die Juden, weil sie Juden sind, sondern sie kämpft gegen die Zionisten, die Palästina besetzen.«
Allgemein unterstellt die Einordnung allen palästinensischen Widerstands als antisemitisch, dass die Palästinenser:innen kein Problem damit hätten, wenn sie nicht von Jüd:innen, sondern bspw. von Christ:innen oder Hinduist:innen unterdrückt werden würden. Dies ist offensichtlich eine absurde Vorstellung.
Gleichzeitig führt der Anspruch des israelischen Staates, »jüdischer Staat« zu sein, zu einer Vermengung von Ethnie, Religion und Politik, was die Gefahr antisemitischer Einstellungen weltweit erhöht. Leider leisten nicht alle Menschen die Unterscheidung zwischen Jüd:innen und israelischer Besatzung. Zudem verschweigt diese Darstellung durch den Staat Israel breitere und kritische Positionen jüdischer Menschen zum Zionismus.
Was ist mit der Gründungscharta der Hamas von 1987?
Wir kritisieren die Gründungscharta der Hamas von 1987, die mit antijüdischen Ressentiments arbeitete. Sie wurde 2017 durch eine neue Charta ersetzt.
Anders als der europäische Antisemitismus hat die Hamas aber keine unterdrückte Minderheit zu einem Sündenbock gemacht. Die Palästinenser:innen sind Opfer einer Politik, die behauptet, im Namen aller jüdischen Menschen zu handeln. Die antijüdischen Ressentiments basieren auf dieser Erfahrung.
Es ist vergleichbar mit Afroamerikaner:innen, die vorurteilsbehaftete Äußerungen gegen »Weiße« machen, nachdem sie ein Leben lang rassistisch beschimpft wurden. Wir kritisieren das, würden aber nie Unterdrückte und Unterdrückende gleichsetzen.
Die materielle Triebfeder des Widerstandes in Palästina ist die Unterdrückung und nicht antijüdische Ressentiments.
Haltet ihr eine »Zweistaatenlösung« für möglich?
Nein. Israel hat bereits 1981 Ostjerusalem annektiert. Israelische Siedlungen zerteilen das Westjordanland. Israel bereitet aktuell die Annektion der Siedlungen und des Nordens des Gazastreifens vor. Dabei setzt Israel die bereits vor der Staatsgründung 1948 begonnene Vertreibung der Palästinenser:innen fort.
Diese Politik entspricht dem Anspruch Israels, sowohl ein »jüdischer Staat« als auch eine »Heimstätte für alle Juden« zu sein. Ersteres setzt die Vertreibung der Palästinenser:innen voraus, um sicherzugehen, dass diese eine unbedeutende Minderheit in Israel sind.
Das Zweite setzt die Ausdehnung des Staatsgebietes voraus, um mehr Raum für Einwanderung zu schaffen. Denn die Mehrheit der Jüdinnen und Juden weltweit lebt nicht in Israel.
Eine »Zweistaatenlösung«, die mehr ist als ein ausgedehntes Israel mit Ghettos entrechteter Palästinenser:innen als Anhängsel, kann nur gegen den Willen Israels durchgesetzt werden. Das widerspricht der Politik der »uneingeschränkten Solidarität mit Israel«.
Wir halten auch grundsätzlich »ethnische Trennung« für eine rassistische Politik und glauben nicht, dass sie Grundlage für einen Staat sein sollte.
Gibt es ein Existenzrecht für Israel?
Die UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, Francesca Albanese, beantwortete diese Frage vor kurzem so: »Israel existiert. […] Aber im internationalen Recht gibt es kein Existenzrecht für Staaten. […] Was allerdings im internationalen Recht verankert ist, ist das Existenzrecht von einem Volk. Israel ist ein geschütztes Mitglied der UN, rechtfertigt das die Auslöschung eines anderen Volkes? Verdammt nein! […]«
Als Svu sind für das Recht aller Menschen, dort zu leben, wo sie leben wollen. Wir sind gegen rassistische Kriterien dafür, wer Bürger:in sein darf und wer nicht. Wir sind für Demokratie.
Svu setzen uns dafür ein, dass das heutige Israel Teil eines demokratischen Staates mit gleichen Rechten für alle Menschen, die auf dem Gebiet leben oder von dort vertrieben wurden, wird.
Ist die Existenz Israels nicht eine Lehre aus dem Holocaust und wichtig als »Schutzraum« für jüdisches Leben?
Der Kampf gegen Antisemitismus ist, so wie der Kampf gegen jede andere Form des Rassismus, ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Eine Lehre, die wir aus den Verbrechen des deutschen Faschismus ziehen, ist die Bekämpfung von jeder Form der Unterdrückung.
Der Zionismus ist im 19. Jahrhundert als eine Reaktion auf die Entstehung des Antisemitismus in Europa entstanden. Die Grundthese des Zionismus ist, dass der Kampf gegen Antisemitismus, den Linke damals wie heute führen, vergebens sei. Deswegen, so die Schlussfolgerung der zionistischen Bewegung, müsse es eine ethnische Trennung geben: Jüd:innen brauchen ihren eigenen Staat.
Der Schlachtruf der Bewegung war: »Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land!« Aber es gab kein »Land ohne Volk«. Die Gründung Israels setzte die Vertreibung der Palästinenser:innen voraus.
Freiheit für Palästina ist ein internationaler Kampf
Unterdrückung führt immer zu Widerstand. Israel ist ständig im Krieg gegen die palästinensische Befreiungsbewegung. Der 7. Oktober 2023 hat erneut auf traurige Weise gezeigt, dass die Schaffung eines Staates Israel keine Lösung gebracht hat. Die Verbrechen an den Palästinenser:innen, die Israel seit vielen Jahrzehnten begeht, gefährden Menschenleben auf beiden Seiten.
Unsere Aufgabe als Sozialist:innen in Deutschland ist in erster Linie, dafür zu sorgen, dass alle Menschen hier ohne rassistische Diskriminierung leben können und »unsere« Regierung sich nicht an der Unterdrückung in anderen Ländern beteiligt.
Titelbild: Non Violent Vigilante