Nancy‘s New Normal: Keine gesellschaftliche Akzeptanz für Polizeistaat-Methoden!

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Das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser normalisiert Grundrechtsverletzungen durch den autoritären Staat. Warum wir uns der gesellschaftlichen Akzeptanz für Polizeistaat-Methoden entgegenstellen müssen, begründen Gerrit Peters und Ramsis Kilani

Auf ihrer sogenannten »Sicherheitstour« nutzt Bundesinnenministerin Nancy Faeser die parlamentarische Sommerpause für weitere Vorstöße für die Befugnisse des Geheimdienstes. Sie bringt AI-Gesichtserkennung mithilfe von Social Media-Fotos sowie eine Reform des BKA-Gesetzes ins Spiel, die das heimliche Eindringen in Häuser und Wohnungen sowie das Anbringen von Spähsoftware auf Desktops oder Smartphones ermöglicht. »Nancy‘s New Normal« in Sachen Polizeistaat-Methoden basiert auf einem jahrelangen Prozess des Grundrechtsabbaus.

Der Bericht der größten Menschenrechtsorganisation der Welt Amnesty International zur Rechtslage in 21 europäischen Ländern zeichnet ein düsteres Bild der Gewährleistung demokratischer Grundrechte – auch in Deutschland: insbesondere bezogen auf die Repression gegen die Klimabewegung und Palästina-Solidarität. Darin wird nicht nur »ein Muster repressiver Gesetze, unverhältnismäßiger Gewaltanwendung, willkürlicher Festnahmen und strafrechtlicher Verfolgung sowie ungerechtfertigter oder diskriminierender Einschränkungen« aufgezeigt, sondern auch der zunehmende »Einsatz invasiver Überwachungstechnologien«, der zur »Abschreckung und Einschüchterung und damit zu einer systematischen Einschränkung des Demonstrationsrechts« führt. Weiter werden »Fälle von Straflosigkeit oder mangelnder Rechenschaftspflicht der Polizei« attestiert und ein beunruhigender »Trend der Diffamierung von Demonstrierenden und Protesten« festgestellt. Behörden würden demnach eine »verleumderische Rhetorik« an den Tag legen und Demonstrant:innen als »Terroristen«, »Kriminelle« und «ausländische Agenten« diskreditieren.

Klimaaktivist:innen, die lediglich durch Aktionen des zivilen Ungehorsams aufgefallen sind, werden, laut dem Bericht, »mit Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität und unter Heranziehung terrorismusbezogener Gesetze ins Visier genommen« und müssen sich »des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach §129 StGB vor Gericht verantworten«. Darüber hinaus werden Präventivmaßnahmen durchgeführt, »die es ermöglichen, Personen von bestimmten Orten oder zukünftigen Aktivitäten auszuschließen – und in einigen Fällen sogar in Haft zu nehmen –, um sie an der Teilnahme an Aktionen des zivilen Ungehorsams zu hindern«.

Polizeistaat als neue Norm

Dass Palästinenser:innen und mit ihnen solidarische Menschen als »Terroristen« und »Islamisten« diffamiert werden und beispiellosen Repressionen ausgesetzt sind, ist kein besonders neues Phänomen. Auch, dass Maßnahmen, wie die Präventivhaft, die einst mit dem Kampf gegen islamistische Gefährder begründet wurde, nun gegen Linke, in diesem Fall Klimaaktivist:innen eingesetzt werden, sollte niemanden überraschen. Die Ausweitung repressiver Methoden und polizeilicher Befugnisse wurde beispielsweise in Frankreich ebenfalls zuerst und ohne großen Widerspruch an der muslimischen Minderheit in den Banlieues angewendet und daraufhin auch gegen die Rentenproteste und Streikbewegung eingesetzt.

Genau darum geht es bei der Normalisierung von Polizeistaat-Methoden für neue gesellschaftliche Akzeptanz. Darum ist es umso gefährlicher, wenn Linke plötzlich staatliche Repressionen gutheißen und die »Wehrhafte Demokratie« loben (Böhmermann Tweet: »WAS GLAUBT IHR DENN WAS WEHRHAFTE DEMOKRATIE IST? RUMLABERN UND IN DEN KOMMIS ABHÄNGEN?«), weil sie sich zufällig einmal gegen den politischen Gegner richten, wie bspw. beim Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins.

Staatliche Verbote dienen konkreten kapitalistischen Interessen

Denn der bürgerliche Staat hat nicht auf einmal und urplötzlich ein Problem mit rechtsextremem bis faschistischem Gedankengut, sondern handelt auch in diesem Fall im Interesse der herrschenden Kapitalistenklasse, in diesem Fall dem geopolitischen Interesse. Denn mit dem Compact-Magazin wurde nicht zufällig irgendein Sprachrohr der extremen Rechten verboten, sondern ein ganz spezielles Sprachrohr mit einer ganz speziellen und unbestreitbaren Nähe zu Russland.

Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn dem Westen dienliche Faschist:innen eine Propaganda-Tour durch Deutschland planen. So geschehen bei den drei für Köln, Hamburg und Berlin geplanten Events der 3. Sturmbrigade des ASOW-Bataillons, die nur durch antifaschistischen Gegenprotest abgesagt wurden. Von staatlicher Seite gab es keine Androhung von Repressionen, geschweige denn überhaupt Kritik an den Veranstaltungen.

Der bürgerliche Staat ist kein Antifaschist

Der bürgerliche Staat hat kein Problem mit faschistischer Ideologie oder Organisationen an sich. Nur wenn sie seine Autorität untergraben oder seine Glaubwürdigkeit bedrohen, wie es bei Teilen der Reichsbürgerbewegung der Fall war, geht er gegen sie vor.

Ansonsten hätte die Polizei der AfD und ihren Delegierten nicht den Weg zu ihrem Bundesparteitag in Essen frei geprügelt, dem sich 70.000 Menschen widersetzt haben und sie darüber hinaus mit abgeschirmten U-Bahnen zum Veranstaltungsort eskortiert. Denn nur so konnte der Konvent der im Kern faschistischen Partei überhaupt wie geplant stattfinden.

Ganz im Gegenteil hält sich die herrschende Klasse die Option brauner Schlägertrupps immer bewusst offen, die sie gegen organisierte Arbeiter:innen und Sozialist:innen einsetzen kann. Denn es besteht für sie immer die Gefahr, dass sich die Arbeitenden die fortlaufenden Angriffe auf Sozialkassen, das Streikrecht und ihre Klasse bei gleichzeitiger Militarisierung und Aufrüstung nicht mehr gefallen lassen.

In diesem Kontext müssen wir auch die Unterschiede im polizeilichen Vorgehen bei dem jüngsten Naziaufmarsch in Bautzen verstehen. Rund 700 Stiefelnazis waren hier unter dem Motto »Gegen Gender-Propaganda und Identitätsverwirrung!!!« zusammengekommen, um gegen den CSD zu demonstrieren. Die Polizei begleitete den Aufmarsch der Faschist:innen tatenlos und sah sich auch bei »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus«-Sprechchören oder dem versuchten Abbrennen von Regenbogenflaggen keineswegs zum Handeln gezwungen. Dies lag aber nicht daran, dass die Staatsmacht plötzlich vergessen hatte, was Repressionen sind oder wie man Gewalt anwendet. Denn dass sie weiterhin sehr gut weiß, wie das geht, hat sie zur gleichen Zeit in Berlin unter Beweis gestellt, als wieder einmal eine friedliche pro-palästinensische Demonstration drangsaliert und Teilnehmer:innen zusammengeschlagen wurden – darunter auch Minderjährige. Das staatliche Interesse, gegen Faschismus vorzugehen, ist im Gegensatz zum staatlichen Vorgehen gegen Internationalismus und Antiimperialismus nicht groß und daher eine Ausnahmeerscheinung.

Antimuslimischer Rassismus ist staatliche Praxis

Ein weiteres Beispiel, an dem die Normalisierung von Polizeistaat-Methoden erprobt wurde, ist das Verbot des Islamischen Zentrum Hamburg und die Schließung der Blauen Moschee sowie weiterer schiitischer Gotteshäuser. Das rechte Springer-Medium Welt titelte triumphierend: »RAZZIA GEGEN ISLAMISMUS: Kettensägen und gezogene Waffen! Polizei stürmt blaue Moschee in Hamburg«. Die Kommentarspalten waren voll von jubelnden Neonazis und rechtsextremen, antimuslimischen Rassismus. Trotz der offensichtlich von rechts kommenden staatlichen Repression blieben viele Linke und Liberale still oder reihten sich sogar zwischen Staat und Nazis ein. Denn für die staatliche Repression wurde bewusst ein gesellschaftlich besonders leicht zu vermittelndes Ziel ins Visier genommen: Nicht nur durch wahrscheinliche Verbindungen zum iranischen Staat von Teilen des IZH trieb das Verbot einen Keil zwischen migrantische, exilierte und linke Gruppen. Zudem traf die Staatsgewalt die muslimische Minderheitenkonfession der Shiit:innen, die weltweit und in Deutschland sehr viel kleiner als die sunnitische Glaubensrichtung ist. Die Begründung für das Verbot und die Schließung mehrerer religiöser Einrichtungen ist aus dem neuen Verfassungsschutzbericht für 2023 des – nicht erst seit Hans-Georg Maaßen mit Rechtsextremen durchsetzten – deutschen Geheimdienst bekannt: »Antisemitismus« und »Israelhass«. In einem »phänomenenübergreifenden Sonderkapitel« mit dem Titel »Auswirkungen des Nahostkonflikts und Antisemitismus« bildet der »Linksextremismus« neben dem »auslandsbezogenen Extremismus« säkularer palästinensischer oder linker türkischer Gruppen ein eigenes Unterkapitel.

Der Angriff auf die internationalistische Linke wird immer wahrscheinlicher

Durch den höheren Organisierungsgrad gegen staatliche Maßnahmen und das Ausgreifen der radikalen Linken in breitere Gesellschaftsteile in Deutschland stellen linke Gruppen ein weniger leichtes Ziel dar als die schiitische Minderheit. Allerdings wird über die vorgenommene Normalisierung und zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz der Boden für die nächsten Stufen staatlicher Maßnahmen bereitet. Exakt diese »Law & Order« und Polizeistaat-Orientierung zeichnet seit Jahren die politische Herangehensweise von Nancy Faeser und dem Bundesinnenministerium des Innern (BMI) unter ihrer Weisung. 

Vor dem Hintergrund der Geschichte ist es daher eine wesentliche Aufgabe, sich der Entwicklung von Verboten und Polizeigewalt entgegenzustellen. So ist auch die Begründung des Compact-Verbots durch das BMI mehr als interessant und sollte alle Linken aufhorchen lassen. Dem Magazin wird bspw. vorgeworfen, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu verstoßen und dabei »aggressiv-kämpferisch« aufzutreten. Außerdem wird von »Widerstand« gesprochen und, dass man die Regierung stürzen wolle. All diese Punkte könnten allerdings auch genauso gegen revolutionäre linke Gruppen und Organisationen ins Feld geführt werden. Historische Beispiele für ein solches Vorgehen sind etwa das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands 1956 oder der sogenannte Radikalenerlass und die daraus folgenden Berufsverbote ab 1972. Die staatliche Repression von heute kann morgen gegen Sozialist:innen, Streiks und die Arbeiter:innenbewegung eingesetzt werden. Es wäre mehr als ein historischer Fehler, den schleichenden Ausbau von Gewaltbefugnissen des bürgerlichen Staates einfach hinzunehmen, nur weil er nicht immer akut gegen sich politisch als links verstehende Gruppen gerichtet ist.


Titelbild: hanifshoaei