Das Urteil gegen die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen sieht vor, dass sie fünf Jahre lang nicht zu Wahlen antreten darf. Welche Auswirkungen hat das auf den Kampf gegen Faschismus? Von John Mullen
Eine gute Nachricht für Antifaschisten in Frankreich: Am Ende eines zweimonatigen Prozesses haben die Richter Marine Le Pen für schuldig befunden, über einen Zeitraum von elf Jahren Millionen Euro an öffentlichen Geldern veruntreut zu haben. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass sie »im Zentrum … eines organisierten Systems« stand, das darauf abzielte, öffentliche Gelder in die Parteikasse zu leiten. Während des Prozesses versuchte sie nicht, die eindeutigen Beweise für ihre Schuld anzufechten. Das Gericht verurteilte sie zu vier Jahren Gefängnis. Die Hälfte wurde zur Bewährung ausgesetzt, die restliche Zeit ist unter elektronischer Überwachung zu verbüßen. Dreiundzwanzig weitere Mitglieder ihrer Partei wurden ebenfalls verurteilt. Das Urteil verbietet Le Pen auch, fünf Jahre lang für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Ihr aktuelles Amt muss sie aber nicht niederlegen. Das Urteil könnte dazu führen, dass sie 2027 nicht mehr für das Präsidentenamt kandidieren kann. Marine Le Pen und ihre Partei haben daraufhin eine Kampagne gegen die »Tyrannei« der »roten Richter« gestartet. Die Richterin Bénédicte de Perthuis steht nun unter Polizeischutz.
Da Marine Le Pen Berufung eingelegt hat, gilt die Gefängnisstrafe nicht sofort. Das Verbot, sich zur Wahl aufzustellen, hingegen schon. Es schien, dass vor Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes nicht ausreichend Zeit für ein Berufungsverfahren bleiben würde. Nachdem der rechte Premierminister Bayrou und der rechtsextreme Innenminister Retailleau sich darüber verärgert gezeigt haben, hat das Pariser Berufungsgericht versprochen, das Verfahren zu beschleunigen. Das Urteil soll bis Mitte 2026 bestätigt (das wahrscheinlichste Ergebnis) oder aufgehoben wird.
Heuchelei
Die faschistische Rassemblement National (RN) hat immer so getan, als sei der »Kampf gegen die Korruption« eine ihrer höchsten Prioritäten. Sie haben behauptet, nur sie können »mit sauberen Händen den Kopf hochhalten«. Marine Le Pen forderte vor einigen Jahren sogar, dass jeder gewählte Beamte, der der Korruption für schuldig befunden wird, auf Lebenszeit von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen werden sollte. Jetzt hat sich gezeigt, dass sie genauso korrupt ist wie die traditionelle Rechte in Frankreich.
François Fillon, Präsidentschaftskandidat der traditionellen Rechten im Jahr 2017, wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Der derzeitige rechte Premierminister François Bayrou entging letztes Jahr nur knapp einer Verurteilung, als seine engen Mitarbeiter wegen Veruntreuung verurteilt wurden. Das Urteil von dieser Woche, das die tiefe Heuchelei der RN aufzeigt, wird einige ihrer Anhänger demoralisiert haben und könnte die Arbeit der Antifaschisten etwas erleichtern.
Aber auch wenn jeder Schlag gegen Le Pen ein Grund zum Feiern ist, wird der Nutzen dieses Urteils von vielen überschätzt. Der Faschismus ist eine Reaktion auf eine tiefe politische Krise und wird nicht durch die Gerichte des Establishments aufgehalten. Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass Adolf Hitler 1923 des Hochverrats für schuldig befunden und inhaftiert wurde. Zehn Jahre später erhielt er bei der Wahl 17 Millionen Stimmen. Darüber hinaus hat Jordan Bardella, der wahrscheinliche Ersatzkandidat für die RN, einige Vorteile gegenüber Le Pen. Er ist ein Mann und nicht aus der Familie Le Pen. Er hat also mehr Spielraum bei der Abstimmung seines Wahlkampfs, um massenhaft Unterstützung aufzubauen.
Macron und die Faschisten
Macron und seine Minister machen seit Jahren deutlich, dass ihre Priorität darin besteht, eine radikale linke Regierung zu verhindern. Den Faschisten gilt weniger Sorge. In der Tat haben sie den Faschisten beim Aufbau geholfen und verlassen sich auf ihre Neutralität bei Parlamentsabstimmungen. Noch vor zwei Monaten behauptete Premierminister François Bayrou, in Frankreich bestehe die Gefahr, dass die Menschen das Gefühl hätten, »in der Einwanderung zu ertrinken«. Die Macronisten überschlagen sich mit der Behauptung, das eigentliche Problem seien die Einwanderer und die Muslime. Ein neuer Gesetzesentwurf, der Frauen, die den Hidschab tragen, die Teilnahme am Leistungssport verbietet, ist in Vorbereitung. Die Einwanderungsgesetze werden jedes Jahr verschärft. Wenn Macrons eigene Minister behauptet haben, die französischen Universitäten seien voll von mächtigen »Islamo-Linken«, kann das die RN in ihren Phantasien über »rote Richter« nur unterstützen.
Die Antwort der Linken
In der Linken gibt es eine Debatte darüber, ob die sofortige Verhängung eines Wahlverbots durch die Gerichte, bevor eine Berufung möglich ist, einen gefährlichen Präzedenzfall darstellt. Dies ist die Meinung der Führung von France Insoumise. Zweifellos beeinflusst durch die vielen Fälle, in denen Gerichte gegen Lula und andere linke Führer in Südamerika eingesetzt wurden. Aber die radikalen und revolutionären Gruppen in Frankreich sind sich einig, dass Gerichte im Kampf gegen den Faschismus nicht die Lösung bieten können. Bereits am 22. März mobilisierten die Menschen in Frankreich die größte antirassistische Bewegung seit Jahren. Ein breites Bündnis aus linken und gewerkschaftlichen Bewegungen organisierte Demonstrationen in Dutzenden von Städten. Im letzten Sommer brachte eine historisch große linke Werbekampagne die RN bei den Parlamentswahlen auf den dritten Platz, obwohl 27 verschiedene Umfragen sie auf den ersten Platz gesetzt hatten. Diese Dynamik muss sich noch viel weiter entwickeln.
Auch wenn 61 Prozent der französischen Bevölkerung das Urteil gegen die Faschisten für »gerechtfertigt« halten (34 Prozent sind anderer Meinung), gibt es doch viel Grund zur Sorge. In dieser Woche haben 300.000 Menschen eine Petition zur Unterstützung von Marine Le Pen unterschrieben. In den Nachrichtensendungen des Mainstream-Fernsehens erklären Abgeordnete des RN, wie würdevoll sie sich angesichts dieser bestialischen Richter verhält. Das Rassemblement National war auf das Urteil gegen Le Pen nicht vorbereitet und reagierte darauf nur mit Hektik. Seit mehreren Jahren haben sie es vermieden, Straßendemonstrationen zu organisieren und sich auf Wahlen und die Medien konzentriert. Auch um das Risiko zu vermeiden, dass die offenen Nazis in der Partei zu sichtbar werden.
Gemeinsam Widerstand organisieren
Am Sonntag, den 6. April, soll jedoch eine RN-Kundgebung im Zentrum von Paris und eine weitere in Marseille stattfinden. Dies ist eine Abkehr von der bisherigen Strategie, die darauf abzielte, die Unterstützung des Establishments zu gewinnen. Zum Beispiel durch die Unterstützung der illegitimen rechten Regierung von François Bayrou und die Entsendung von Vertretern nach Israel zu einer Konferenz über die »Bekämpfung des Antisemitismus«. Nichtsdestotrotz betonten die RN-Führer vor der Kundgebung die Notwendigkeit, in ihren Slogans »gemäßigt« zu sein und nicht gegen die Richter zu demonstrieren, sondern vielmehr zur Unterstützung von Le Pen und für die »Verteidigung der Demokratie«.
Der Widerstand gegen die RN-Mobilisierung ist entscheidend. France Insoumise und die Grünen haben zusammen mit einigen Gewerkschaften und Studentenverbänden sowie ATTAC für Sonntag zu einer Gegenkundgebung in der Hauptstadt aufgerufen. Das ist hervorragend, aber nicht ausreichend: Die für dieses Wochenende landesweit geplanten RN-Flugblattaktionen müssen bekämpft werden. Die Notwendigkeit einer breit angelegten, spezifisch antifaschistischen landesweiten Massenkampagne war selten so deutlich zu erkennen.
John Mullen ist revolutionärer Sozialist und Mitglied einer Gruppe von France Insoumise in der Region Paris. Seine Webseite lautet randombolshevik.org
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