Libanon: Wie ist der Waffenstillstand zu bewerten?

Im Libanonkrieg wurde sich auf ein Waffenstillstand geeinigt. Mounir al-Ghazali bewertet die Lage im immer noch umkämpften Südlibanon

Israel hat es geschafft, Hisbollah schwer zu treffen. Hisbollah hat auf allen Ebenen immer wieder Führungskräfte verloren. Diese konnte es zwar dank klarer Strukturen schnell ersetzen, aber trotzdem gibt es immer weniger Leute mit der notwendigen Erfahrung. 

Vor allem aber konnte Israel mit seinem Bombenterror aus der Luft relativ ungestraft Zivilist:innen töten und zivile Infrastruktur massiv zerstören. Obwohl Hisbollah seine Raketen- und Drohnenangriffe bis zum Schluss eskalierte, konnten sie Israel nicht ausreichend abschrecken. Vor dem Krieg waren die Schätzungen, dass Hisbollah über 1.000 Raketen pro Tag würde abfeuern können. Tatsächlich waren es an Spitzentagen nur circa 350. Womöglich konnte Israel also auch deutlich schneller und mehr Raketenlager und Abschussvorrichtungen zerstören als erwartet. 

Der israelische Bombenterror verstärkte den innenpolitischen Druck auf Hisbollah. Zum einen den direkten von anderen Parteien und ggf. auch Teilen ihrer eigenen Anhänger:innen und zum anderen den indirekten Druck durch die Wirtschafts- und Herrschaftskrise im Libanon. Der Krieg hat sich auf lange Sicht verschärft. Die libanesischen Aufstände 2019 waren auch eine Warnung an Hisbollah als Teil des Herrschaftssystem.

Andererseits: In der Verteidigung auf dem Boden war Hisbollah sehr stabil. Israel hat es nie viel weiter als zwei oder drei Kilometer in den Libanon hinein geschafft, konnte die meisten Positionen nicht lange halten und verzeichnete täglich Verluste. Das heißt: Israel konnte seine weitergehenden Ziele nicht erreichen. Die israelische Armee (IDF) hat nicht mehr als die erste Verteidigungslinie der Hisbollah geschwächt und war weit davon entfernt, die Miliz aus dem Süden zu vertreiben, geschweige denn das Gebiet zu besetzen.

Darüber hinaus hatten die USA versucht, die Wahl eines pro-westlichen Präsidenten im Libanon zu erzwingen, um so das Machtgefüge im Libanon langfristig zu ändern. Das sollte der Auftakt dafür sein, die Region neu zu ordnen, und somit auch gegen den Iran vorzugehen. 

All das haben sie (bislang) nicht geschafft, weil sie am militärischen Widerstand Hisbollahs gescheitert sind. Ob eine Pufferzone im Libanon errichtet wird, wird sich noch zeigen. Die Zerstörung ganzer Dörfer lässt dieses Szenario nicht ausschließen.

Das Abkommen und die Reaktion Israels

Der genaue Text des Waffenstillstandsabkommen ist nicht öffentlich bekannt. Was wir wissen: Offiziell ist das Abkommen auf Dauer angelegt. Israel wird darin aber das Recht eingeräumt, 60 Tage lang seine Stellungen im Libanon zu behalten, bevor die IDF abziehen muss. Daher könnte die Kalkulation Benjamin Netanjahus auch sein, den Krieg zu einem günstigeren Zeitpunkt fortzusetzen. So wurde der Waffenstillstand bereits am ersten Tag von israelischer Seite mit erneuten Angriffen gebrochen. In seiner Rede zum Abkommen sprach er explizit davon, den Krieg fortführen zu können und gab als einen Grund für den Waffenstillstand an, »unseren Truppen eine Verschnaufpause zu gönnen und die Vorräte wieder aufzufüllen«.

Es hätte »große Verzögerungen« bei Waffenlieferungen gegeben – eine unberechtigte Kritik an Biden -, die bald vorbei sein würden. Trumps Vereidigung zum Präsidenten findet  am 20.01.2025 statt – bis zum 25.01. darf der israelische Rückzug dauern. Vielleicht könnte das die Rechnung für Israel verändern, falls Trump bereit ist, noch mehr Unterstützung zu geben.

Reaktion Hisbollahs

Hisbollah soll sich in 60 Tagen hinter den Litani zurückziehen und das Gebiet soll die staatliche libanesische Armee kontrollieren. Es ist nicht zu erwarten, dass das langfristig so bleibt. Die Menschen im Süden sind tief mit der Hisbollah verbunden. Sobald Menschen in ihre Städte und Dörfer zurückkehren, wird ihnen die Hisbollah folgen und Israel ist das ein Dorn im Auge. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass weder die staatliche libanesische Armee noch UNIFIL Willens oder in der Lage sind, den Wiederaufbau von Hisbollah zu verhindern. Der Rückzug ist somit vor allem ein symbolischer Erfolg für Israel.

Trotzdem kann dieser Erfolg den Wiederaufbau Hisbollahs verlangsamen. Er wird eine willkommene Legitimation für kommende Luftschläge Israels sein, begründet mit der Abkommensverletzung von Seiten Hisbollahs. Auch verbietet Israel aktuell weiterhin die Rückkehr von Menschen in ihre Häuser und Städte – die »Evakuierungszonen« gelten weiterhin und die Gleichsetzung von Zivilist:innen und Hisbollah-Kombatanten zeichnet sich auch hier ab.

Rückkehr der Bevölkerung in den Südlibanon

Die Menschen versuchen dennoch massenhaft in ihre Dörfer und Gemeinschaften zurückzukehren. Israel hat noch am Tag, als das Abkommen geschlossen wurde, darauf mit Artillerie-Beschuss reagiert. Auch an jedem weiteren Tag seitdem hat die IDF den Libanon angegriffen, Menschen verletzt und getötet. Es ist also abzusehen, wie fragil dieser Waffenstillstand ist und bleibt. An der Frage der Rückkehr in den Süden kann der Krieg sehr leicht wieder ausbrechen.

Gleichzeitig muss gesagt werden, dass die israelische Armee 37 Dörfer komplett zerstört hat. Den Menschen, die dort einmal lebten, wird eine schnelle Rückkehr nicht möglich sein. Die gezielte physische Zerstörung ganzer Gemeinden ist eine weitere ethnische Säuberung, die die Infrastruktur von Hisbollah im Süden des Libanon schwächen soll. 

Internationale Task Force

Eine Task Force unter Führung der USA soll sicherstellen, dass der Waffenstillstand eingehalten wird. Dazu sollen auch französische »Peacekeepers« eingesetzt werden. Auch diese könnten den Wiederaufbau Hisbollahs aktiv oder passiv behindern. Wie genau ein solcher Einsatz aussehen würde, ist allerdings unklar. 

Israelische Innenpolitik

Die Eskalation des Kriegs im Libanon war für Netanjahu innen- und außenpolitisch ein Propagandaerfolg: Die Zustimmungswerte sind wieder gestiegen, Israel konnte sich als »Verteidiger« darstellen, die Aufmerksamkeit für Gaza ist gesunken, und die Unterstützung der USA ist gestiegen. Falls jetzt Israelis in den Norden des Landes zurückkehren, ist das ein weiterer innenpolitischer Erfolg für Netanjahu, der auf die Kriegsziele Israels real einzahlt. Der Druck auf die Regierung wird sinken. Bisher sind jedoch kaum Menschen zurückgekehrt, da sie dem Waffenstillstand nicht trauen. 55 Prozent der Israelis sind für eine Fortführung des Kriegs, bis Hisbollah wirklich geschlagen ist. Netanjahus Versprechen vom »totalen Sieg« hat sich in den Köpfen festgesetzt.

Auf der anderen Seite kritisieren bereits Stimmen aus der israelischen Opposition: Wenn ein Waffenstillstand mit der Hisbollah verhandelt werden konnte, warum dann nicht auch mit der Hamas?

Waffestillstand und Konsequenzen für Palästina

Hisbollah hatte libanesisch-israelische Kriegsfront als Unterstützung für Palästina begonnen. Schon im September war sie allerdings schon keine große Hilfe mehr für den palästinensischen Widerstand in Gaza. Die Vertreibung von Israelis aus dem Norden hat einen innenpolitischen Druck ausgeübt, aber nicht ausreichend israelische Truppen gebunden. Gerade während dem Libanonkrieg der letzten zwei Monate konnte Israel den Genozid in Gaza beschleunigen. Der Libanon, nicht Gaza, dominierte die Schlagzeilen. Das dürfte sich nun ändern.

Trotzdem ist die Kopplung der Fronten erstmal aufgelöst. Für Palästina wird das allerdings wenig direkte Konsequenzen haben, denn: Weder Hisbollah, noch Hamas, noch bewaffneter Widerstand allein werden Palästina befreien können – auch wenn dieser Widerstand nötig ist. Der Widerstand vor Ort zwingt Israel zu reagieren, schafft einen Kristallisationspunkt für den globalen Kampf und erstreitet damit Zeit für die Bewegung außerhalb Palästinas. Um den Zionismus aber zu besiegen, brauchen wir den Druck in den imperialistischen Kernstaaten wie Deutschland und revolutionäre Aufstände in der gesamten Region, die Palästina zu ihrem eigenen Befreiungskampf machen: Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon.


Titelbild: ussanews.com