Krise in Thüringen: Sieg in die Sackgasse?

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DIE LINKE in Thüringen geht Umfragen zufolge gestärkt aus der Regierungskrise hervor. Doch die Rekordergebnisse für die LINKE verhindern nicht, dass Teile der CDU den Pakt mit AfD wollen und der Höcke-Flügel bereitet sich darauf vor, unter R2G als völkisch-soziale Oppositionskraft weiter aufzubauen. Ein Plädoyer für einen linken Neuanfang. Von der Svu-Redaktion

In Thüringen haben sich in den letzten Wochen die Ereignisse überschlagen. Nachdem der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich im dritten Wahlgang mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, gab es einen Sturm der Entrüstung. Zu recht: Es war nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte, dass sich bürgerliche Kräfte mit Faschisten verbünden. Thomas Kemmerich hat infolge des gewaltigen gesellschaftlichen Drucks nach einem Tag seinen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten angekündigt. Doch das ist kein Grund für Entwarnung: Der rechte Flügel der Union will den Pakt mit der AfD und ist alles andere als geschlagen. Nach nur wenigen Tagen kündigte auch Annegret Kramp Karrenbauer ihren Rückzug als CDU Parteivorsitzende an. Die CDU ist in einer tiefen Krise und die AfD verharrt in Umfragen auf hohem Niveau. In dieser Situation scheint DIE LINKE als strahlender Sieger. Laut neusten Umfragen steht die Partei in Thüringen bei bis zu 40 Prozent, während die CDU auf 13 Prozent abstürzt. Hat DIE LINKE also alles richtig gemacht? Kann Rot-Rot-Grün mit Hilfe der Eroberung von Landesregierungen ein Bollwerk gegen die rechte Gefahr aufbauen? Um diese Fragen zu beantworten, hilft es, nicht nur auf Wahlergebnisse oder Umfragen schauen, sondern sowohl einen Blick auf Taktik der Gegnerinnen und Gegner der LINKEN, als auch auf die reale Bilanz von R2G in Thüringen zu werfen.

Der Charakter der AfD und die Taktik der Nazis

Der Blumenstrauß-Wurf von Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow steht stellvertretend für die klare antifaschistische Haltung der LINKEN im Thüringer Landtag. Angesichts der gefährlichen Wahlerfolge der AfD gilt es das zu verbreitern. Um den Kampf gegen rechts zu gewinnen, brauchen wir Klarheit über den Charakter der AfD und ihre Taktik. Die oft gewählte Formulierung »Rechtsaußen« verharmlost Björn Höckes politische Agenda. Höcke ist ein Faschist. Wer das nicht verstanden hat, kommt unweigerlich zu falschen Schlussfolgerungen. Höcke hat seine historische Aufgabe erkannt und ihn zeichnet eine stoische Geduld aus, diese zu erfüllen. In einem öffentlichen Schreiben an die Mitglieder der AfD in Thüringen schreibt Höcke, gemeinsam mit Stefan Möller (ebenso Landessprecher der AfD Thüringen) zu den Aufgaben der AfD in den nächsten Jahren folgendes: »Darüber hinaus werden wir in den nächsten Monaten und Jahren daran arbeiten, noch mehr Wähler im linken Lager von unseren Positionen zu überzeugen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Kurs in der Sozialpolitik der AfD. Nach wie vor halten viele Wähler Bodo Ramelow die Stange, weil sie ihn für die Verkörperung einer vermeintlich gerechten Sozialpolitik halten. Gelingt es uns, das Streiten für soziale Gerechtigkeit, für den Erhalt unsere Identität und für eine Demokratisierung unseres Landes gleichberechtigt zum Markenkern der AfD zu machen, werden wir in Zukunft die erforderlichen Mehrheiten gewinnen können.«

Der Nazi–Flügel um Höcke, sieht in der AfD eine historische Chance für Faschisten aus der gesellschaftlichen Nische auszubrechen. Auf konkrete programmatische Inhalte kommt es ihnen dabei weniger an, Ziel ist eine faschistische Partei mit Massenbasis. Um dies zu erreichen, müssen sie auch soziale Forderungen in ihrem Parteiprogramm integrieren. Die im Brief genannten »Anschlussaktivitäten« sahen in der Vergangenheit wie folgt aus: Lancierung einer AfD-Kampagne »Sozial ohne Rot zu werden«, Demonstrationen am 1. Mai unter dem Motto »Sozial ohne Rot zu werden«, Gründung des »Alternativen Arbeitnehmerverband Mitteldeutschlands« (ALARM) und Unterstützung rechter Gewerkschaftslisten für Betriebsratswahlen, wie die Kampagne »Werde Betriebsrat« zu den Betriebsratswahlen 2019. Der Gründer von »Alarm« ist der Höcke-Mann und Rechtsanwalt Jürgen Pohl, der auf Platz zwei der Landesliste aus Thüringen für den Bundestag kandidierte. Der »Flügel« hat eine klare Strategie, die auf die Gewinnung von Arbeiterinnen und Arbeitern abzielt. Leute wie Björn Höcke, Jürgen Pohl, Jens Maier oder Andreas Kalbitz arbeiten aktiv am sozialen und »rebellischen« Profil der AfD. Der reaktionäre Antikapitalismus und die »national-soziale« Ausrichtung des Flügels dient dem Aufbau einer Massenbewegung auf der Straße. Vor diesem Hintergrund ist es gefährlich, wenn die LINKE (eingebunden in Regierungsverantwortung), die Opposition der AfD überlässt. Denn das Szenario, dass den taktischen Überlegungen der Nazis in in der AfD zu Grunde liegt, ist nicht realitätsfern. Schon unter der ersten R2G-Regierung von 2016 bis 2019 konnte die AfD ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln. Laut infratest dimap mobilisierte die AfD Thüringen rund 77.000 Nichtwählerinnen und Nichtwähler und nahm zudem allen anderen bisher im Landtag vertretenen Parteien Stimmen weg: die meisten davon der CDU (36.000) und der LINKEN (17.000).

Die angestrebte Vereinbarung der thüringer LINKEN mit der CDU, wonach die Konservativen Bodo Ramelow bei der nächsten Abstimmung im Landtag zu einer Mehrheit für die Wahl zum Ministerpräsidenten verhelfen, könnte sich als Eigentor für DIE LINKE erweisen – aus drei Gründen. Zum einen wird der CDU mit Neuwahlen erst im April 2021 eine unnötige Schonfrist verschafft. Zweitens hat R2G ein weiteres Jahr keine Mehrheiten für linke Politikvorhaben, wenn sie sich von Stimmen der CDU abhängig macht. Drittens wird es der AfD eher nutzen, wenn sie sich angesichts der Kungelei der LINKEN mit der CDU als einizge Kraft gegen das Establishment profilieren kann.

R2G soziale Verbesserung fehlen

R2G hat in seiner fünfjährigen Regierungsverantwortung die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen und ihrer Familien nicht grundlegend verbessert. In den wichtigsten Politikfeldern hat die rot-rot-grüne Landesregierung unter Bodo Ramelow nicht geliefert: Die Armut in Thüringen verharrt auf hohem Niveau, die Klimabilanz ist mehr alsbescheiden und der Mietenwahnsinn nimmt auch in Thüringen nicht ab. Trotz boomender Wirtschaft ist in Thüringen jeder Sechste von Armut bedroht. Laut Statistischem Bundesamt lag das Armutsrisiko 2018 in Thüringen bei 16,4 Prozent. Vor Antritt von R2G lag die Armutsgefährdungsquote 2014 bei 17,8 Prozent. Die Regierung konnte an der sozialen Lage der Menschen nichts grundlegend verändern. Genauso wie alle Regierung zuvor. 2009 lag der Wert bei 18,1 Prozent. In Thüringen gelten seit Jahren Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger als arm. So muss selbst Thüringens LINKE-Sozialministerin Heike Werner zugeben: »Es sind aber auch die Kinder von gut ausgebildeten Arbeitnehmern betroffen, weil ihre Eltern im Niedriglohnsektor arbeiten oder prekäre Arbeitsverhältnisse haben«. Besorgniserregend ist nach Werners Worten, dass der Anteil der von Armut bedrohten Kinder in Thüringen seit 2013 nicht deutlich zurückgegangen ist – trotz der stabilen wirtschaftlichen Entwicklung, der Einführung des Mindestlohns und sinkender Arbeitslosenzahlen.«

Auch beim Thema steigende Mieten in den Städten ist die Bilanz von R2G mehr als ernüchternd. In Jena gibt es mit 1,8 Prozent so gut wie keinen Wohnungsleerstand, in Erfurt liegt er bei 3,3. In Erfurt sind die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um 35 Prozent gestiegen, in Weimar um 37 Prozent.

Der Kurs der LINKEN

DIE LINKE ist angetreten, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, nicht um den Status-Quo zu verwalten. Genau das ist aber mit der Partei in Thüringen passiert. Die Ausrichtung der Partei, unter der Führung von Bodo Ramelow und Susanne Hennig-Wellsow, auf ein Regierungsbeteiligung ohne Mindestbedingungen, hat die Partei nachhaltig verändert. Der Spiegel kommentiert nach der Wahl Ramelows treffend: »Natürlich ist auch Thüringens Linke eine staatstragende Partei. In den vergangenen fünf Jahren stellte sie den Ministerpräsidenten. Bodo Ramelow regiert so, wie in anderen Bundesländern Sozialdemokraten regieren.«

Für die Partei in Thüringen bedeutete diese Ausrichtung eine Überparlamentarisierung und Stellvertreterpolitik, bei der die Fraktion und Ministerinnen und Minister die eigentlichen Akteure der Partei sind. Nach den Wahlen in Thüringen ging ein regelrechtes Feuerwerk für den Kurs von Ramlow durch die Republik. Über die politischen Lager hinweg eine trügerische Einigkeit. Von der linksliberalen »TAZ« bis zur konservativen »FAZ«, der LINKE-Ministerpräsident wird als Superstar gefeiert: Der »bürgernahe« (FAZ), der »Realist und Staatsmann« (NDR), »Triumph der Ramelow’schen Realpolitik« (Welt) und »Ramelow ist die Mitte« (TAZ) lauteten die Schlagzeilen.

Glänzende Umfragen, aber mit hohem Preis

Kurz: DIE LINKE erkämpft einen historischen Sieg in Thüringen nur und vor allem wegen Bodo Ramelow. Die Partei glänzt in Umfragen, bezahlt dies aber mit einem hohen Preis: Der politischen Anpassung an die Sozialdemokratie. Anstatt auf den Kurs einer sozialistischen, bewegungsorientierten Mitgliederpartei zu setzen, wurden die Aktivitäten der Partei auf ein Vehikel reduziert, um R2G auf den Weg zu bringen und Ramelow als LINKEN-Ministerpräsidenten durchzusetzen. Alle bisherigen Regierungsbeteiligung der LINKEN auf Länderebene (in Mecklenburg-Vorpommern 1998 bis 2006, in Brandenburg von 2009 bis 2019, die 10 Jahre Rot-Rot in Berlin von 2001 bis 2011 und die aktuelle rot-rot-grüne Koalition seit 2016, die rot-rot-grüne Koalition mit dem LINKEN Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von 2014 bis 2019) haben gezeigt, dass die Beteiligung an Regierungskoalitionen auf lange Sicht linken Forderungen und Bewegungen und der Partei selbst schaden – und die Ziele auf Veränderungen der Gesellschaft in weite Ferne rücken lassen. Die derzeitigen Rahmenbedingungen im Kapitalismus, also die Finanzen in Bund, Ländern und Kommunen und ihre Kompetenzen, der grundsätzliche Charakter des bürgerlichen Staates allgemein, aber auch die Rechtswende von SPD und Grünen im Besonderen als potentielle Koalition partner setzen der Umsetzung eines wirklichen Politikwechsels äußerst enge Grenzen. DIE LINKE

kann in Regierungsverantwortung auf Landesebene weder die Armutsrenten beseitigen, noch das HartzIV-Regime umgehen. Die Zustimmung der LINKEN in Sachsen zur Schuldenbremse und in Thüringen, Brandenburg und Berlin zur Autobahnprivatisierung konterkarierte die antikapitalistische Profilierung der Partei.

Entscheidend für die kommenden Jahre ist daher, dass die Linke sich eindeutig gegen neoliberale Maßnahmen stellt und wirkliche soziale Verbesserung erzielt. Dafür ist eine Kampfansage an die Bundesregierung nötig, weil wichtige Stellschrauben für einen Politikwechsel auf der Landesebene im Bund gedreht werden müssten – z.B. in der Steuer- und Sozialpolitik. Sollte die Linke bei dieser Aufgabe versagen bietet sie der Rechten die Möglichkeit, in das durch Frustration und enttäuschte Hoffnungen entstanden Vakuum, vorzudringen. Wenn es der LINKEN in den nächsten fünf Jahren nicht gelingt, den Menschen eine Perspektive zur grundlegenden Verbesserung der Lebensverhältnisse in Thüringen zu bieten, droht nicht nur ein Absturz, sondern auch der weitere Aufstieg der faschistischen AfD. Darauf spekuliert der Höcke-Flügel.

Eigenständigkeit bewahren!

DIE LINKE in Thüringen muss als Partei trotz Regierungsbeteiligung ihre Eigenständigkeit bewahren und darf sich nicht in der Zuschauerrolle den Koalitionszwängen unterordnen. Es ist Aufgabe der Partei, an der Seite von Beschäftigten und sozialen Bewegungen außerparlamentarisch Druck zu machen und durch Aufklärung und Mobilisierung die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verschieben. Über diesen Ansatz kann der Partei ein neuer Aufbruch gelingen, um sich mit einem rebellischen Profil

als Kraft gegen die herrschenden Verhältnisse aufzubauen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Für grundlegende Veränderungen ist es allerdings wichtiger, ob es Bewegungen und Kämpfe und ob es gewerkschaftlichen sowie betrieblichen Protest gibt. Entscheidend ist weniger, wer regiert, sondern vielmehr, ob es gelingt, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse durch Mobilisierungen auf der Straße, in den Betrieben und an den Unis zu verändern: z.b. gegen Armutslöhne, für die sozial-ökologische Verkehrswende, für bezahlbaren Wohnraum. Ansatzpunkte für eine Orientierung der LINKEN auf gesellschaftliche Mobilisierungen gibt es auch in Thüringen – sei es die Bewegung gegen Rechts, die Fridays for Future oder streikende Beschäftigte. Darüber hinaus braucht es in Thüringen eine starke antifaschistische Front. Höcke als Antidemokraten zu bekämpfen reicht nicht. Sein faschistisches Weltbild muss entlarvt werden und Proteste auf der Straße und Aktionen im Parlament gegen die AfD sollten Hand in Hand gehen. So können wir der doppelten Aufgabe gerecht werden: sowohl mit klarer Kante gegen Rechts als auch mit antikapitalistisches Profil für einen linken Aufbruch gegen die herrschenden Verhältnisse wirksam zu werden.


Dieser Artikel erschien zuerst im März 2020 bei marx21

Titelbild: DIE LINKE / flickr