Der Kampf der Mapuche: »Das Land gehört uns«

Seit Jahren kämpfen die Mapuche-Ureinwohner Chiles gegen Großkonzerne, besetzen Land und streiten für ihre Rechte. Der Staat antwortet mit voller Härte. Einen ersten Etappensieg erreichte der Protest trotzdem. Von Jan Kallen

In der chilenischen Hauptstadt Santiago demonstrierten Anfang des Jahres hunderte Menschen für die Freilassung politischer Gefangener und gegen die systematische Unterdrückung der Mapuche. Auf Plakaten stand: »Gebt uns unser Land zurück« und »Das Land gehört uns«. Die Demonstration in der Hauptstadt reiht sich ein in eine neue Welle von Protesten in den Siedlungsgebieten der Mapuche im Süden von Chile in den letzten Monaten.

Mit etwa 600.000 Personen stellen die Mapuche, die Ureinwohner des Landes, heute die größte ethnische Minderheit der chilenischen Gesellschaft. Sozial zählen sie in Chile zum ärmsten und am wenigsten gebildeten Teil der Bevölkerung. Im Alltag sind die Ureinwohner Diskriminierung und Vorurteilen ausgesetzt, vergleichbar mit der Lage der Roma und Sinti in Europa.

Jahrhunderte des Widerstands

Die Unterdrückung der Mapuche in Chile hat eine lange Geschichte. Den spanischen Eroberern hatten sie sich zunächst jahrhundertelang erfolgreich widersetzt. Doch nach der Unabhängigkeit Argentiniens und Chiles Anfang des 19. Jahrhunderts brachten die neuen Regierungen ihr Staatsgebiet nach und nach unter Kontrolle, was zu Eroberungen der Gebiete der Mapuche führte und Massaker an ihnen bedeutete. Die offizielle Geschichtsschreibung spricht von der »Befriedung Araukaniens«. Ergebnis der militärischen Besatzung ihrer Siedlungsgebiete war das Ende der Unabhängigkeit der Mapuche, die Reduzierung ihres Landes von 10 Millionen auf etwas über 525.000 Hektar und die Verteilung des neuen Landes an nicht-indigene, zumeist europäische Siedler.

Doch der Widerstand der Mapuche war nie komplett gebrochen. In den vergangenen Jahren haben Mapuche-Aktivistinnen und Aktivisten wieder mehrmals die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, indem sie sich besonders gegen die Waldrodung und Übernahme ihrer Heimatgebiete wehrten. Ihr Unmut richtete sich gegen Großgrundbesitzer, die Fisch- und Holzindustrie sowie gegen Energie- und Zellulosekonzerne, die in ihren Stammesgebieten tätig sind und auf Tradition, Religion, Kultur, Umwelt- oder Gewässerschutz keine Rücksicht nehmen.

Müllhalden auf Mapuche-Land

Auf ihrem Land entstanden Wasserkraftwerke, Eukalyptus- und Kiefernplantagen für die Holzindustrie, industrielle Anlagen zur Lachszucht und Müllhalden. 2014 wurde auf reklamiertem Gebiet der neue Flughafen von Temuco eröffnet. An einigen Projekten sind auch die deutsche Regierung und deutsche Konzerne beteiligt.

Im Zuge der jüngeren Proteste klagte die Machi Francisca Linconao Huircapan, eine Anführerin der Mapuche, erfolgreich gegen die Firma Palermo Limitada und schuf einen Präzedenzfall für den gesamten südamerikanischen Raum. Die Polizei verhaftete Huircapan erstmals im März 2013. Man warf ihr die Beteiligung an einem Brandanschlag auf das Haus einer Großgrundbesitzer-Familie vor. Im Oktober 2013 sprach man sie jedoch von allen Anklagepunkten frei. Huircapan gewann danach ein Gerichtsverfahren gegen den Staat Chile, der sie für die körperlichen und spirituellen Verletzungen während der Haft entschädigen sollte. Bisher blieben allerdings jegliche Zahlungen an die Aktivistin aus.

Stattdessen verhaftete die Polizei im letzten Jahr im Zuge der neuen Proteste Huircapan und zehn weitere Mapuche erneut. Grund hierfür waren angeblich neue Beweise zu dem Brandanschlag. Die Behörden überführten Huircapan unmittelbar in ein Frauengefängnis. Eine Gerichtsentscheidung wurde mit Hilfe des Anti-Terror-Gesetzes – ein Überbleibsel aus der Diktatur unter Pinochet – umgangen. Ebenfalls aufgrund dieses Gesetzes drohte den elf Gefangenen lebenslange Haft. Francisca Linconao Huircapan trat aus Protest Ende Dezember in den Hungerstreik.

Erster Etappensieg des Protests

Menschenrechtsorganisationen wie die Gesellschaft für bedrohte Völker weisen immer wieder darauf hin, dass Mapuche bei politisch motivierten Anklagen diesem Sonderstrafrecht ausgesetzt sind, während Verbrechen im Dienste der Großgrundbesitzer gegen Mapuche-Aktivisten konsequent mild geahndet werden. So verhängte ein Gericht für den Mord an einem Landbesetzer durch einen Bediensteten des Eigentümers die Mindeststrafe von 5 Jahren Haft und eine Zahlung von 870 Dollar an die Familie des Verstorbenen, während ein anderes Gericht nur wenige Monate später einen Aktivisten für das Zerstören von Forstfahrzeugen zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilte.

Der Konflikt mit den Mapuche ist nicht nur Teil der chilenischen Geschichte, sondern untrennbar mit dem heutigen chilenischen Staat verbunden. Jeglicher Widerstand gegen die Landnahme stellt das Staatsgebiet und das Privateigentum an Grund und Boden in Frage. Das erklärt auch die Härte, mit der die Staatsgewalt gegen die Proteste einer unterdrückten Minderheit vorgeht. Einen ersten Etappensieg erreichte der Protest trotzdem: Francisca Huircapan kam aus dem Gefängnis frei und beendete ihren Hungerstreik.


Dieser Beitrag wurde erstmals 2017 veröffentlicht.

Titelbild: Cosmopolita.