Kundgebung für die Freilassung von Julian Assange 2024 in Paris

Julian Assange: Freiheit nach 4950 Tagen

Julian Assange ist nach einer Vereinbarung seiner Anwälte mit dem US-Justizministerium frei. Das ist ein Sieg für die Pressefreiheit und eine Niederlage für die USA. Von Christian Schröppel

Am 7.12.2010 verhaftet die Londoner Polizei den investigativen Journalisten Julian Assange. Grundlage ist ein in Schweden erlassener europäischer Haftbefehl. Assange wird unter anderem sexuelle Nötigung vorgeworfen. Die Ermittlungen zu diesen Vorwürfen werden von der schwedischen Justiz im November 2019 eingestellt.

Die Verhaftung von Julian Assange wird zum Ausgangspunkt einer juristischen Verfolgung, die über ein Jahrzehnt lang die Weltöffentlichkeit beschäftigt. Denn die von Assange gegründete investigative Internet-Plattform Wikileaks hatte im März 2010 knapp 77.000 Dokumente zum Krieg der USA in Afghanistan und etwa 390.000 Dokumenten zur Invasion und Besatzung des Irak durch die USA im Jahr 2003, die ihm von Chelsea Manning übergeben wurden. Manning war zu diesem Zeitpunkt als Angehörige der US-Streitkräfte im Irak eingesetzt.

Kriegsverbrechen

Diese Dokumente enthüllten Kriegsverbrechen der USA und legten Informationen und Einschätzungen u.a. von Geheimdiensten und Botschaften der USA zu verschiedenen Themen offen. Während die US-Regierung offiziell die Bedeutung der Veröffentlichung herunter spielte, reagierten andere Teile der US-Administration wütend und verurteilten sie scharf. Kommentatoren in großen Nachrichtensendern wie FOX forderten, Assange – ähnlich wie Terrorismusverdächtige der Taliban – außergerichtlich hinzurichten. CIA-Direktor Mike Pompeo bezeichnet später Wikileaks als „nichtstaatlichen feindlichen Geheimdienst“. Den Vorwurf, dass durch die Veröffentlichung konkrete Menschen zu Schaden gekommen seien, konnte die US-Regierung jedoch nie belegen.

Obwohl Assange als Journalist nicht zur Geheimhaltung verpflichtet ist, verfolgen ihn die Justizbehörden der USA wegen Geheimnisverrats. Assange suchte 2012 in der Botschaft Ecuadors in London Zuflucht, da er bei einer Überstellung aus dem Vereinigten Königreich nach Schweden befürchtete, in die USA ausgeliefert zu werden. Tatsächlich stellen die USA 2017 ein Auslieferungsersuchen an die britische Regierung, das jedoch bis zum Ende seines Asyls in der ecuadorianischen Botschaft und seiner anschließenden Verhaftung geheim gehalten wird. Assange wird im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh unter Bedingungen gefangen gehalten, die seine Anwälte als „psychologische Folter“ beschreiben. Ab September 2019 ist das Auslieferungsersuchen der USA der einzige Grund, auf dem die fortdauernden Gefangennahme Assanges fußt.

Spionage-Vorwurf

Zahlreiche gerichtliche Verfahren im Vereinigten Königreich, die teilweise zu Gunsten von Assange ausfallen, wecken zunehmend Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Auslieferung Assanges an die USA. Nach langen Verhandlungen vereinbaren die Anwälte von Assange und das US-Justizministerium, dass Assange sich nach 18 U.S. Code § 793 – einem Spionagegesetz von 1917 – schuldig bekennt. Im Gegenzug sichert das US-Justizministerium zu, sämtliche weiteren Anklagepunkte fallen zu lassen und vor Gericht eine Haftstrafe von fünf Jahren zu beantragen – die mit der britischen Untersuchungshaft als verbüßt gilt. Ein Gericht des US-Überseegebiets der Nördlichen Marianen bestätigt die Vereinbarung, und am 26. Juni 2024 verlässt Assange das Gericht ohne Auflagen als freier Mann.

Assanges juristische Verfolgung steht in einer Reihe mit der Dreyfus-Affäre in Frankreich Ende des 19. Jahrhunderts und dem Prozess gegen Carl von Ossietzky nach der Veröffentlichung „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ in der Zeitschrift Die Weltbühne 1929. Sie zeigt, dass bürgerliche Freiheiten wie die Pressefreiheit von den Staaten nicht freiwillig gegeben, sondern gegen diese erkämpft werden müssen. Mit der Verfolgung Assanges haben die USA deutlich gemacht, dass sie gewillt sind, Kritiker mit den Mitteln der Justiz bis an den Rand des gesundheitlichen Kollapses zu treiben, um ihre Interessen durchzusetzen und ein Exempel zu statuieren.

Präzedenzfall

Der Fall Assange zeigt jedoch auch: Eine beharrliche Bewegung, die die hinter der Verfolgung stehenden Interessen klar benennt, kann auch gegen eine scheinbar unbezwingbare Macht wie die US-Regierung Erfolg haben. Auch wenn das Schuldeingeständnis Assanges teilweise als negativer Präzedenzfall für die Pressefreiheit gesehen wird, so ist diese Sichtweise doch zu sehr im juristischen Blickwinkel gefangen. Denn auch die jahrelange Kampagne und die öffentliche Aufmerksamkeit, die die USA schließlich zum Nachgeben gezwungen haben, ist ein Präzedenzfall, den die Behörden der USA nicht so schnell vergessen werden.

Assanges Freilassung ist ein großer Erfolg für die Pressefreiheit und für uns alle ein Grund zu feiern!


Titelbild: Paola Breizh