Jean-Marie Le Pen ist tot, doch unter der Führung seiner Tochter ist die von ihm gegründete Partei gefährlicher denn je. Von John Mullen
Jean-Marie Le Pen, der einflussreichste französische Faschistenführer seit dem 2. Weltkrieg, ist am Dienstag, den 7. Januar, gestorben. Noch am selben Abend versammelten sich in Paris, Lyon und Marseille Menschenmassen, vor allem junge Leute. Sie feierten unter den Rufen „Bonne Année et Bonne Santé! Jean-Marie est décédé!“ (zu Deutsch in etwa: „Auf das neue Jahr und unsere Gesundheit! Jean-Marie ist tot!“). Der extremistische Innenminister Bruno Retailleau verurteilte den Jubel sofort als „beschämend“. In der Zwischenzeit veröffentlichte die Presse Fotos aus dem Archiv der Familie Le Pen. Präsident Macron sprach der Familie Le Pen offiziell sein Beileid aus. Premierminister François Bayrou würdigte Le Pen als „Kämpfer“, räumte aber gleichzeitig ein, dass es grundlegende Meinungsverschiedenheiten mit ihm gebe. Jordan Bardella, Vorsitzender des faschistischen Rassemblement National (RN), erklärte, Jean-Marie Le Pen habe „Frankreich immer gedient und seine Identität und Souveränität verteidigt“.
Auf Seite der radikalen Linken schrieb Jean-Luc Mélenchon von der France Insoumise: „Der Kampf gegen diesen Mann ist vorbei. Der Kampf geht weiter gegen den Hass, den Rassismus, die Islamophobie und den Antisemitismus, die er verbreitet hat“. Die kommunistische Tageszeitung L’Humanité titelt auf ihrer Ausgabe vom 8. Januar „Hass war sein Handwerk“. Sie zeigte das Foto eines in Deutschland hergestellten Messers, in das Le Pens Name eingraviert ist. Das Messer wurde dort gefunden, wo er es zurückgelassen hatte: in einem Haus, in dem der Aktivist Ahmed Moulay während des Algerienkriegs 1957 gefoltert und ermordet wurde. Manon Aubry, Europaabgeordnete von France Insoumise, sprach gestern vom Tod eines „notorischen Rassisten und Antisemiten“. Philippe Poutou, führendes Mitglied der Neuen Antikapitalistischen Partei, freute sich über „diese gute Nachricht: Der Tod eines Rassisten, eines Kolonialisten, eines Faschisten, eines Folterers, eines Mörders und eines Homophoben“.
Lebenslang ein Nazi
Jean-Marie Le Pen wandte sich schon früh dem Faschismus zu. An der Pariser Universität verkaufte er Ende der vierziger Jahre die Zeitung der rechtsextremen monarchistischen Action Française. Sie wurde von Xavier Vallat herausgegeben, der unter der Vichy-Regierung „Kommissar für jüdische Angelegenheiten“ gewesen war. Le Pen wurde in den 1950er Jahren im Alter von 27 Jahren zum ersten Mal zum Abgeordneten der rechtsextremen Poujad-Bewegung gewählt. Anfang der 1960er Jahre, als der Krieg gegen Algerien Frankreich zerriss, kämpfte er in der Armee gegen die algerische Unabhängigkeit. Le Pen war insbesondere an der Folterung von Gefangenen beteiligt und hat immer behauptet, dass die Kolonisierung etwas Positives war. Er hat De Gaulle nie verziehen, dass er schließlich die algerische Unabhängigkeit akzeptiert hat.
In den 1960er Jahren war er politisch isoliert, arbeitete aber dennoch an der Aufrechterhaltung der faschistischen Tradition. Er gründete eine Firma, die rechtsextreme Reden und Lieder aufnahm und veröffentlichte. Auf dem Cover einer Schallplatte mit Liedern und Reden aus dem Dritten Reich heißt es: „Dies sind die Lieder der deutschen Revolution. Der Aufstieg Adolf Hitlers und der Nationalsozialistischen Partei war durch eine mächtige, volksnahe und demokratische Massenbewegung gekennzeichnet, die nach regelmäßigen Wahlen triumphierte, Umstände, die im Allgemeinen in Vergessenheit geraten sind.“
Jean-Marie Le Pen gründete den Front National
In den 1970er Jahren gelang es Jean-Marie Le Pen, die zersplitterten Überreste der extremen Rechten zusammenzuführen. Er gründete den Front National, der eine Reihe wichtiger taktischer Änderungen beschloss. Der nationalsozialistische Kern sollte verborgen werden und der Wahlkampf, nicht der Straßenkampf, sollte im Vordergrund stehen. Antisemitische Äußerungen wurden vermieden und antiarabischer Rassismus und Islamophobie wurden fast zum einzigen Schwerpunkt. Schließlich ließ man den traditionellen Rassismus, der auf falschen biologischen Theorien beruhte, hinter sich. Der neue Diskurs basierte auf vermeintlich „unvereinbaren“ Kulturen und dem angeblichen „Krieg zwischen den Zivilisationen“. Der Front National wurde zu einer Zeit gegründet, als die tiefe Wirtschaftskrise nach Westeuropa zurückkehrte. Damit nahm der Druck auf die herrschende Klasse zu, den Volkszorn gegen Sündenböcke zu richten.
Le Pen sollte sein ganzes Leben lang ein Nationalsozialist bleiben. Im Jahr 2010, im Alter von 81 Jahren, erklärte er in einem Seminar mit Journalismusstudierenden: „Im Nationalsozialismus gab es einen Sozialismus. Es gab einen beträchtlichen sozialistischen Inhalt, der die deutsche Gesellschaft weit mehr umgestaltet hat als jede andere politische Kraft es getan hat.“ Erst im vergangenen September wurde er im Alter von 96 Jahren dabei gefilmt, wie er in seinem Haus mit der eingeladenen Neonazi-Rockband „Match Retour“ sang. Deren Name verweist auf ihre Hoffnung auf eine zweite Chance zur Durchsetzung des Nationalsozialismus in Europa.
Taktische Änderungen
Le Pen war von 1972 bis 2011 Vorsitzender des Front National (FN) in Frankreich. Talkshows konnten Rekordeinschaltquoten erzielen, wenn sie ihn als Gast einluden und selbstgefällige Interviews wurden üblich. Le Pen machte das Beste aus ihnen. Er erklärte insbesondere, dass die Existenz der Gaskammern und Krematorien, die zur Ermordung von Juden und anderen Menschen eingesetzt wurden, „ein Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ sei. Als er erfuhr, dass ein jüdischer Sänger, Patrick Bruel, zusammen mit anderen gegen den FN protestiert hatte, kommentierte er, dass es bald „einen ganzen Ofen voll“ von seinen Gegner:innen geben werde.
Die Medien liebten diese Vorfälle, die sie als „Ausrutscher“ bezeichneten. In Wirklichkeit waren sie gut durchdachte Interventionen, um den harten faschistischen Kern des FN zu stärken. Sobald er eine relativ große Zahl von Leuten hatte, die ihn in anderen Fragen unterstützten, startete er diese antisemitischen Provokationen. Diese wurden weithin angeprangert und die sanfteren Le Pen-Anhänger:innen wurden aufgefordert, sich weiter in Richtung Nazi-Politik zu bewegen.
Der Aufstieg des Front National
Über viele Jahre hinweg baute sich der Front National langsam auf. Drei wichtige Faktoren begünstigten dies. Erstens die massive Diskreditierung der traditionellen linken Regierungsparteien, die sich dem Neoliberalismus zuwandten und immer wieder zeigten, dass sie den einfachen Menschen äußerst wenig zu bieten hatten. Zweitens das sehr begrenzte Verständnis der radikalen Linken für die Bedeutung des Stoppens faschistischer Parteien durch Massenkampagnen, einschließlich direkter Aktionen zur Verhinderung ihrer Aktivitäten. Drittens die historische Schwäche der großen Mehrheit der französischen Linken im Kampf gegen die Islamophobie, die Form des Rassismus, die allmählich zum Zentrum der Reaktion in Frankreich wurde.
Der FN hat sich bemüht, seinen Kern von Hardliner-Nazis geheim zu halten. Doch 1987 infiltrierte die Enthüllungsjournalistin Anne Tristan eine Abteilung des FN und stellte fest, wie diese redeten: „Wenn man einen Araber tötet, während Le Pen 0,5 Prozent der Stimmen erhält, gibt es sofort einen Aufschrei und man wird als Rassist beschimpft“, sagte ein Aktivist. “Wenn Le Pen bei 15 Prozent liegt, machen die Leute weniger Aufhebens. Wir müssen also weitermachen und Sie werden sehen, wenn wir bei 30 Prozent sind, werden die Leute aufhören zu schreien“.
Faschistischer Durchbruch
Am 21. April 2002 löste Le Pen mit seinem Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen das größte politische Erdbeben der letzten vierzig Jahre in Frankreich aus. Zehntausende protestierten die ganze Nacht hindurch in den Städten Frankreichs. Zehn Tage später, am 1. Mai, demonstrierten weit über eine Million Menschen gegen Faschismus. In der zweiten Runde der Wahlen unterlag Le Pen mit knapp 18 Prozent der Stimmen deutlich. Fünfeinhalb Millionen haben für ihn gestimmt. Aber dies war ein Durchbruch, der den Anstieg der Popularität und des Ansehens der Faschist:innen beschleunigte. Im Jahr 2017 stimmten zehneinhalb Millionen für sie, im Jahr 2022 dreizehn Millionen.
Seit Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie Le Pen, 2011 Präsidentin des FN wurde, hat eine entschlossene und insgesamt erfolgreiche Kampagne zur „Image-Entgiftung“ stattgefunden. Naziverbindungen sollten umfassender vertuscht werden, selbst die Organisation von Straßendemonstrationen sollte vermieden werden. Sie schloss ihren Vater aus der Organisation aus, da er seinen sarkastischen Antisemitismus nicht aufgeben wollte. Sie warf einige andere offene Nazis hinaus und wies die Abgeordneten an, sich auf Seriosität zu konzentrieren. Schließlich war sie 2023 auf pro-israelischen „Märschen gegen Antisemitismus“ zu sehen. Marine Le Pens Weiblichkeit wurde ebenfalls genutzt. Sie sollte den Wähler:innen zu versichern, dass die alten faschistischen Werte, die im Allgemeinen mit Männlichkeit assoziiert werden, nicht mehr im Mittelpunkt der Politik des RN stehen.
Weiter gegen Marine Le Pen
In dieser Woche ist Marine Le Pens Sorge, ein Begräbnis für ihren Vater zu organisieren, das den offenen Nazis, die ihn verehrten, keinen Raum gibt, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie will die zerbrechliche Seriosität ihrer Partei, die sich in Rassemblement National umbenannt hat, nicht gefährden. Sie hat sich für ein Familienbegräbnis nach einer katholischen Messe in der bretonischen Stadt entschieden, in der er geboren wurde. Wahrscheinlich wird sich daran aber eine widerliche „Huldigungs“-Zeremonie in Paris anschließen, gegen die man sich wehren muss.
Le Pens Tod ist der richtige Zeitpunkt, um die Menschen gegen die faschistische RN zu mobilisieren, die, von Macron der radikalen Linken vorgezogen, näher an der Regierung ist, als sie es je war, als sie von Jean-Marie Le Pen geführt wurde.
John Mullen ist ein antikapitalistischer Aktivist und Mitglied einer France Insoumise-Aktionsgruppe in der Region Paris. Dieser Artikel ist im Januar 2025 auf seiner Website randombolshevik.org erschienen.