Ist Kritik an Israel antisemitisch?

Ist die Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus gerechtfertigt? Was folgt, wenn man dieser Gleichsetzung widerspricht? Welche materialistische Grundlage hat die Kritik am Staat Israel? Von der Svu Redaktion

Eine Kritik an der Politik des Staates Israel ist nicht per se antisemitisch. Aber es gibt auch eine rassistische, antisemitische Kritik an Israel. Wer Kritik an Israel mit verallgemeinernden Aussagen über Jüdinnen und Juden vermischt, bedient antisemitische Vorurteile. Kritik an Israel ist antisemitisch, wenn der Eindruck erweckt wird, »die Juden« als »Volkseinheit« wären verantwortlich für die Politik einer staatlichen Gewalt. Die zionistische Bewegung ist nicht identisch mit der israelisch-jüdischen Bevölkerung. Nicht »die Juden« entrechten die Palästinenser:innen, sondern der zionistische israelische Staat und seine Unterstützerinnen und Unterstützer.

Der israelische Sozialist Michel Warschawski bringt den Unterschied zwischen Antisemitismus und Antizionismus so auf den Punkt: »Wie jeder andere Rassismus negiert der Antisemitismus (oder die Judenfeindlichkeit) den Anderen in seiner Identität und in seiner Existenz. Der Jude ist, egal was er tut, egal was er denkt, Hassobjekt bis hin zur Ausrottung, nur weil er Jude ist. Der Antizionismus hingegen ist eine politische Kritik an einer politischen Ideologie und Bewegung; er greift nicht eine Menschengruppe an, sondern stellt eine bestimmte Politik in Frage.« Es leben heute über eine Million Araber:innen auf israelischem Staatsgebiet. In den besetzten Gebieten Ostjerusalems und im Westjordanland leben heute hunderttausende Jüd:innen.

Eine linke, antizionistische und sozialistische Kritik sollte betonen, dass alle Menschen dort bleiben könnten, wo sie heute leben – vorausgesetzt, es gibt einen wirklichen Neuanfang auf der Basis realer Gleichberechtigung von Jüd:innen und Araber:innen. Dies schließt das Rückkehrrecht der vertriebenen Palästinenser:innen mit ein und setzt einen Bruch mit der Politik der Kolonisierung des Landes durch den israelischen Staat voraus. Es schließt zugleich das Recht der jüdischen Bevölkerung ein, im historischen Gebiet Palästinas zu leben.

Eine wirkliche Lösung des Konfliktes kann es nur dann geben, wenn das Ursprungsproblem beseitigt wird: die ethnische Teilung Palästinas. Dies ist möglich, wenn ein gemeinsamer, weltlicher und demokratischer Staat geschaffen wird, in dem Jüdinnen, Juden, Muslima, Muslime, Christinnen und Christen mit gleichen Rechten zusammenleben können. In der jüdischen Gemeinde gab es immer schon eine antizionistische Strömung. Ein prominenter Vertreter ist der Literaturwissenschaftler Noam Chomsky. In einem Appell, den er zusammen mit 33 weiteren jüdischen Intellektuellen verfasste, steht: »Wir dürfen unsere palästinensischen Schwestern und Brüder nicht zu einem Schicksal verdammen, ähnlich wie das, wogegen unsere Vorväter zu Recht kämpften. Wir Juden müssen ein Ende des Kriegs gegen die Palästinenser und der israelischen Besetzung vom Westjordanland und Gaza, das Recht auf palästinensische Selbstbestimmung und den Abbau der israelischen Apartheid fordern. Es ist nicht in unserem Interesse, dass wir die Zustände, die Widerstand und Blutvergießen andauernd reproduzieren, verstärken. Solidarität mit den Palästinensern ist in Wirklichkeit Solidarität mit den Juden.«


Titelbild: Wikipedia