Gaza: Waffenstillstand auf Probe

Nach 15 Monaten Völkermord wurde ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas vereinbart. Das dreiphasige Abkommen sieht humanitäre Hilfe, Geiselaustausch und einen schrittweisen israelischen Rückzug vor. Das Wichtigste zum Abkommen von Damineh Vaezpour-Semnani

Nach 15 Monaten des Genozids, der Zerstörung und des unermesslichen Leids hat die israelische Regierung einem Waffenstillstand mit der Hamas zugestimmt. Doch dieser »Frieden« ist trügerisch und keineswegs das Ende der siedlerkolonialen Gewalt, die seit Jahrzehnten das Leben der Palästinenser:innen prägt. Es ist lediglich ein Teilerfolg, der durch den Widerstand des palästinensischen Volkes teuer erkämpft wurde.

Die Phasen des Abkommens

Das Abkommen, das in drei Phasen unterteilt ist, bringt kurzfristig dringend benötigte humanitäre Entlastung, lässt jedoch viele Fragen zur langfristigen Umsetzung offen. Jede Phase dauert 42 Tage und ist entscheidend für den weiteren Verlauf.

Soforthilfe und schrittweiser Rückzug

Israel erlaubt täglich 600 LKW-Ladungen mit Hilfsgütern und Treibstoff nach Gaza, was die Palästinenser:innen nutzen können, um lebenswichtige Einrichtungen wie Krankenhäuser wieder in Betrieb zu nehmen. Verwundete dürfen Gaza verlassen, und der Grenzübergang Rafah soll am siebten Tag geöffnet werden.

Israel verpflichtet sich, 2.000 palästinensische Geiseln freizulassen, darunter größtenteils Entführte ohne Anklage, Prozess oder Urteil und rund 300 mit lebenslänglichen »Strafen«, während die Hamas 33 israelische Geiseln freilässt.

Israel zieht Besatzungstruppen schrittweise aus Bevölkerungszentren Richtung Grenze zurück, will jedoch den strategisch zentralen Netzarim-Korridor behalten, der Gaza in Nord und Süd trennt. Die Präsenz im Philadelphi-Korridor an der ägyptischen Grenze wird reduziert, ein vollständiger Rückzug soll am 50. Tag erfolgen. Zudem wird die israelische Luftüberwachung für zehn Stunden täglich eingestellt, an Tagen mit Geiselaustausch für zwölf Stunden.

„Langfristige Lösungen“

Ab dem 16. Tag von Phase 1 starten mit der zweiten Phase Verhandlungen über einen dauerhaften und vollständigen Waffenstillstand sowie die vollständige Freilassung weiterer palästinensischer Gefangener. Die Rückkehr zu den Grenzen vor dem 7. Oktober 2023 ist vorgesehen.

Ziel der letzten Phase 3 ist der vollständige Rückzug der israelischen Besatzungstruppen aus Gaza, die Öffnung aller Grenzübergänge und der Beginn eines mehrjährigen Wiederaufbaus Gazas unter internationaler Aufsicht. Hamas verpflichtet sich, die noch lebenden israelischen Geiseln freizulassen und die Leichen der Verstorbenen zu übergeben.

Doch dieser Plan birgt erhebliche Risiken: Israel hat keine schriftliche Garantie abgegeben, nach Phase 1 von weiteren Angriffen abzusehen. Netanjahu hat dies sogar explizit als Option in Betracht gezogen, um seinen politischen Machterhalt zu sichern. Diese Unsicherheiten machen klar, dass das Abkommen keine Garantie für dauerhaften Frieden geschweige denn Gerechtigkeit ist. Das lässt sich alleine schon an Israels fortlaufendem Kolonialkrieg in Jenin in der Westbank erkennen, für das es keinen Waffenstillstand gibt.

Israels strategische Niederlage

Die Bedingungen des Abkommens zeigen Israels politisches und militärisches Scheitern. Trotz brutaler Angriffe und der Zerstörung Gazas konnte die Hamas nicht besiegt werden. Der Deal entspricht nahezu allen Forderungen der Hamas, darunter der vollständige Rückzug aus Gaza, während Israels ursprüngliche Ziele – die Zerschlagung von Hamas und die militärische Befreiung aller Geiseln – nicht erreicht wurden.

Wie Henry Kissinger einst sagte: »Der Guerilla-Kämpfer gewinnt, wenn er nicht verliert. Die konventionelle Armee verliert, wenn sie nicht gewinnt.« Israel hat in diesem genozidalen Krieg nicht gewonnen, sondern eine strategische Niederlage erlitten.

Trumps Unterstützung für Annexion und Völkermord

Während der Waffenstillstand zumindest formal beschlossen wurde, droht neue Eskalation. Der US-Präsident Donald Trump hat Berichten zufolge seine Zustimmung zur Annexion der Westbank signalisiert und Israel Unterstützung bei einem möglichen Angriff auf den Iran in Aussicht gestellt. Diese Haltung wird durch seine frühere UN-Botschafterin Elise Stefanik untermauert, die öffentlich erklärte: »Israel has a biblical right to the West Bank (Israel hat ein biblisches Recht auf das Westjordanland).« Solche Aussagen legitimieren nicht nur völkerrechtswidrige Annexionen, sondern fördern auch eine religiös motivierte Eskalation des in Wirklichkeit kolonialen Konfliktes.

Weiter hat Trump jüngst angekündigt, dass die USA planen, Gaza zu kontrollieren und die dortige palästinensische Bevölkerung nach Ägypten und Jordanien zu vertreiben. Mit Blick auf den Widerstandwillen der palästinensischen Bevölkerung als auch der Hamas wird es weiter anhaltende koloniale Gewalt gegen Zivilst:innen geben, sollten die imperialistischen Ambitionen Trumps in die Tat umgesetzt werden. Aber auch weltweit löst Trumps Vorhaben Entsetzen und Wut aus. Die Solidaritätsbewegung mit Palästina hat jetzt Chancen, dagegen zu mobilisieren und sich auszuweiten. Nächster Anlaufpunkt dafür sind die NGO-Demonstrationen für einen gerechten Frieden am 15. Februar!

Raus aus der Isolation der Palästinasolidarität in Deutschland. Freiheit für Gaza.


Titelbild: direct.kboo.fm