Vor Corona Angst vor Deflation, jetzt Inflation. Konzerne machen Profite. Woher kommt das? Welcher Widerstand ist möglich?
Mit Corona und jetzt dem Krieg in der Ukraine kam es zur »Zeitenwende«. Die Pandemie unterbrach Lieferketten und Produktion. Wichtige Produkte wie Computerchips wurden nicht mehr geliefert. Der Krieg bremste Öl- und Gasimporte aus Russland. Getreide- und Düngemittellieferungen stocken. Während normalerweise wegen technischem Fortschritt Waren in immer kürzerer Arbeitszeit hergestellt werden können, passiert jetzt das Gegenteil. Es muss länger gearbeitet werden, um eine bestimmte Menge an Gas, Öl, Getreide usw. zu bekommen.
Inflation, Deflation, Geldwertstabilität, Stagflation – was ist das?
Inflation bezeichnet einen allgemeinen Anstieg der Preise der meisten Waren. Deflation bedeutet einen allgemeinen Preisverfall. Geldwertstabilität oder Preisstabilität bedeutet, dass sich im Durchschnitt die Preise wenig ändern. Die Europäische Zentralbank definiert Preisstabilität als eine Inflationsrate von etwa zwei Prozent.
Früher gab es bei Sozialdemokrat:innen und Gewerkschaften die Hoffnung, der Staat könne mit seiner Nachfrage Krisen, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Stagnation verhindern. Allenfalls drohte Inflation, wenn die Staatsausgaben zu stark im Vergleich zu den Produktionskapazitäten stiegen. Inflation und Stagnation schlossen sich aus dieser Sicht aus.
Als sich Anfang der 1970er und nochmal Anfang der 1980er Jahre der Rohstoff Öl stark verteuerte, trieb dies im Inland die Preise nach oben und die höheren Kosten für Öl führten zur Krise. Es gab also Inflation und Stagnation. Die damaligen Mitte-links-Ökonomen waren überrascht. Sie erfanden den Begriff »Stagflation«. In diesem Sinne droht derzeit wieder Stagflation. Wenn die Importpreise steigen, steigen auch im Inland Preise und Kosten, und es droht gleichzeitig eine wirtschaftliche Stagnation. Für die Gesellschaft sind die Folgen steigende Verarmung und Arbeitslosigkeit.
Wie wird Inflation gemessen?
Beim sogenannten Verbraucherpreisindex beobachtet das Statistische Bundesamt (Destatis) in Deutschland die Preise von Waren des Verbrauchs von privaten Haushalten und berechnet daraus einen Durchschnittswert. Waren mit hohem Umsatz werden stärker berücksichtigt. Die jährliche Veränderungsrate in Prozent dieses Durchschnittspreises wird als Inflationsrate bezeichnet. Sie kann auch null oder negativ sein. Dabei muss Destatis neue Waren in den sogenannten Warenkorb neu aufnehmen (z.B. Smartphones) und veraltete aussondern (z.B. Schreibmaschinen).
Wie genau oder wie politisch sind diese Angaben?
Destatis gab für den Monat August 2022 eine Inflationsrate von acht Prozent an. Eine Umfrage der IU Internationalen Hochschule, Erfurt, ergab eine sogenannte »gefühlte Inflation« von 34 Prozent. Das ist mehr als viermal so viel. Die bürgerliche Ökonomie erklärt dies damit, dass die Menschen Preiserhöhungen bei Gütern, die sie häufig kaufen, z. B. Lebensmittel, stärker wahrnehmen, auch wenn diese kein großes Gewicht bei ihren Gesamtausgaben haben. Preisveränderungen bei Waren, die seltener gekauft werden, etwa Autos oder Computer, dringen schwächer ins Bewusstsein.
Die letzte große Inflationsdebatte gab es bei Einführung des Euro. Während Löhne und Gehälter gemäß dem Verhältnis 1 Euro = 2 D-Mark automatisch zahlenmäßig halbiert wurden, vermissten viele eine entsprechende Anpassung bei den Preisen, etwa in der Gastronomie. Destatis beharrte aber darauf, dass der Euro zu keiner höheren Inflation geführt hätte, während die Menschen »gefühlt« höhere Inflationsraten wahrnahmen.
Politisch ist, was Destatis veröffentlicht und was nicht. Bis 1999 veröffentlichte Destatis noch einen Preisindex für einen »2-Personen-Rentnerhaushalt mit niedrigem Einkommen« oder einen für einen »4-Personen-Haushalt von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen«. Dass solche Kategorien aus dem Veröffentlichungsprogramm wegfallen, hat nicht immer sachliche Ursachen. Hier haben die Regierung und die Wirtschaftsverbände einen Einfluss, den die Vertreter:innen der Gewerkschaften in den einschlägigen Gremien auszugleichen versuchen müssen.
Destatis veröffentlicht noch Preisindizes für Warengruppen wie Energie oder Nahrungsmittel. Während Destatis für den Monat September 2022 eine Inflationsrate von 10,0 Prozent für den privaten Verbrauch insgesamt angibt, meldet es für Energie 43,9 Prozent und für Nahrungsmittel 18,7 Prozent. Das sind aber Waren, die einen großen Teil bei den Ausgaben von Menschen mit niedrigem Einkommen ausmachen. Für diese Waren ist also die Inflation nicht »gefühlt«, sondern tatsächlich höher als die sogenannte durchschnittliche Inflationsrate, die alle Haushalte von arm bis reich betrifft.
Ein offensichtliches Beispiel von »Inflationskorrektur« kommt aus den USA. In den 90er Jahren wollte die US-Zentralbank (»Fed«) mehr Geld in die Wirtschaft pumpen. Das hätte die Inflationsraten womöglich hochgetrieben. Die Fed wollte das vermeiden, jedenfalls statistisch. Die Fed drängte deshalb darauf, tatsächliche oder vermeintliche Qualitätsverbesserungen bei den Waren zu berücksichtigen und so die Inflationsrate niedriger zu berechnen. Doch ist das ziemlich willkürlich. Genauso gut könnte man größere Verspätungen im Zugverkehr als Qualitätsverschlechterung bewerten, was sich in einem höheren Preisanstieg je Zugfahrt ausdrücken würde.
Wer profitiert von der Inflation?
In der jetzigen Lage gibt es unter den Unternehmen Gewinner und Verlierer. Es kommt zu einer Umverteilung zwischen den Unternehmen. Wenn Sanktionen oder Lieferstopps Energie verknappen, muss zum Ausgleich auf teurere Energiequellen ausgewichen werden, etwa auf Flüssiggas aus den USA. Das treibt den Weltmarktpreis für Energie nach oben. Davon profitieren Energiekonzerne wie RWE, die jetzt »Mondpreise« verlangen können. Sie produzieren Energie zu den alten niedrigeren Kosten, kassieren aber den neuen hohen Preis für Energie.
In der Logistik hängen viele Schiffe und Container in Häfen fest oder stehen im Stau, weil sie wegen der Corona-Lockdowns nicht mehr abgeladen oder beladen werden. Im Ergebnis sind die Raten für das Mieten von noch verfügbaren Containern und Schiffen gewaltig gestiegen. Transportfirmen wie Kühne+Nagel machen mit ihren Schiffen riesige Knappheitsgewinne. Alle diese Konzerne machen derzeit Übergewinne.
Es braucht also eine Übergewinnsteuer?
Schon das Kommunistische Manifest beschäftigte sich mit dem Problem, dass diejenigen Grundeigentümer, auf deren Grund und Boden kein so großer Arbeitsaufwand benötigt wird, um Lebensmittel, Energie oder ähnliches zu produzieren, neben dem »normalen« Profit eine besondere sogenannte Grundrente als Übergewinn einstreichen können. Deshalb forderte das Kommunistische Manifest, das Grundeigentum zu enteignen und die Grundrente für Staatsausgaben zu verwenden. Das ist immer noch aktuell. Die Forderung nach Besteuerung der Übergewinne und nach Vergesellschaftung der großen Energiekonzerne ist richtig.
Die Übergewinne werden von der Bundesregierung als »Zufallsgewinne« bezeichnet. Sie sind natürlich nicht zufällig, sondern ergeben sich aus dem privaten Eigentum an Grund und Boden, sowie an derzeit knappen Produktionsmitteln.
Kann die Inflation gestoppt werden?
Bürgerliche Politik kennt nur ein Mittel, Inflation zu bremsen, und das ist die Anhebung der Zentralbankzinsen, um Kredite zu verteuern. Für Staaten wird Verschuldung teurer, sie müssen ihre kreditfinanzierten Ausgaben einschränken. Werden Kredite teurer, dann investieren die Unternehmen weniger, sie stellen weniger ein oder entlassen. Arbeitslosigkeit dämpft die Lohnforderungen der Gewerkschaften. Letztlich wird die Inflation auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse ausgebremst.
Maßnahmen wie Preisstopps oder Preisdeckel gelten als nicht marktwirtschaftlich. Genau das müssen wir aber fordern. Dies geschieht schon bei der Forderung nach einem Mietendeckel. Sollten Kapitalist:innen deshalb die Produktion stoppen oder Arbeitende entlassen, dann hilft Verstaatlichung, wie es die Bewegung »Deutsche Wohnen Enteignen«fordert. Die Gashandelsfirma Uniper wurde gerade verstaatlicht. Verstaatlichungen müssen aber dauerhaft angelegt sein. Es kann nicht sein, dass Unternehmen, die in Schwierigkeiten sind, vorübergehend verstaatlicht und ihre Verluste sozialisiert werden, und bei schönem Wetter werden sie dann wieder in die Privatisierung entlassen und machen Profite.
Was steckt hinter dem Begriff »Konzertierte Aktion«?
Arbeitgeber, Gewerkschaften und Staat sollen gemeinsam »konzertiert« handeln, um Probleme, im Augenblick Inflationsprobleme, zu lösen. Dahinter steckt die Vorstellung einer »Sozialpartnerschaft«. Es wird behauptet, es gäbe gemeinsame Interessen zwischen Kapital und Arbeit.
Tatsächlich will sich das Kapital aber nur in der Weltmarktkonkurrenz behaupten. Das Kapital und der ihm verpflichtete Staat versuchen den Arbeiter:innen einzureden, freiwillig die höheren Kosten, die sich durch die Verteuerung der Importgüter ergeben, zu tragen. Die Arbeiter:innen sollen ihre Arbeitskraft unter Wert verkaufen.
Linke sollten also die »Konzertierte Aktion« ablehnen?
Ja. Die Arbeiter:innen können selbständig für ihre Interessen kämpfen und müssen das laufend tun. Dazu brauchen sie keine Ratschläge von Kapital oder Staat.
Bei der ersten Konzertierten Aktion ab 1967 verfolgte das Kapital weiterhin seine Interessen und bekämpfte zum Beispiel die betriebliche Mitbestimmung. Die Bundesbank, ein wichtiger Teil des Staates, verweigerte die Mitarbeit. Die Gewerkschaften hingegen gestanden niedrigere Löhne zu. Die Arbeiter:innen mussten schließlich mit wilden Streiks selbst zunächst ohne die Gewerkschaften um ihre Interessen kämpfen.
Was können die Gewerkschaften tun?
Die Inflation trifft die Arbeiter:innen unmittelbar, weil die Tarifverträge zu Zeiten abgeschlossen wurden, als die Inflation niedriger war. Die Arbeiter:innen müssten jetzt rasch voll außertariflich höhere Löhne für den Ausgleich der Inflation fordern. Das hilft auch all denen, zum Beispiel Rentern:innen, die auf soziale Leistungen angewiesen sind, die gesetzlich an die Lohnentwicklung angekoppelt sind.
Für die Arbeiter:innenklasse kommt es also darauf an, für einen vollen Lohnausgleich für die hohe Inflation zu kämpfen. Sie müssen dabei berücksichtigen, dass Preise für Lebensmittel und Energie besonders stark gestiegen sind. Diese machen einen großen Anteil an den Ausgaben der Arbeiter:innen aus. Die Lohnabschlüsse müssen sich also an den Preisen ausrichten, die für Arbeiter:innen besonders wichtig sind, und diese Preise sind stärker gestiegen als die allgemeine Inflation.
Die Gewerkschaften sollten auch Sockelbeiträge fordern, also einen festen Betrag bei der Lohnerhöhung für alle. Dies kommt vor allem den niedrigen Einkommen zugute, die besonders stark unter der Inflation leiden. Selbst wenn die Inflationsraten sich wieder zurückbilden, werden die Preise auf ihrem erhöhten Niveau bleiben. Die Gewerkschaften müssen deshalb dauerhafte Lohnerhöhung fordern und Einmalzahlungen als Lösung ablehnen.
Immer wieder wird auch eine »Scala mobile« gefordert, also ein automatisches Anpassen der Löhne an die Preise. Doch die Löhne halten dann zwar mit den Preisen mit, aber die Produktivitätssteigerung, was je Arbeiter:in mehr produziert wird, bleibt außen vor. In Italien wurde diese Skala unter dem Druck des Kapitals wieder abgeschafft.
Halten die Löhne nicht mit den Preisen mit, dann sind die Arbeiter:innen gezwungen, sich beim Einkaufen einzuschränken. Bleibt dies so, wird das Folgen für die Arbeitsfähigkeit der Arbeiter:innen haben. Erst kommende Tarifabschlüsse können dafür sorgen, dass die Löhne zu den Preisen wieder aufholen, wenn nicht schon vorher außertariflich für einen Lohnausgleich gekämpft wird.
Droht dann nicht eine Lohn-Preis-Spirale?
Nein. Kapitalisten wollen möglichst viel Profit machen und ihre Waren möglichst teuer verkaufen. Dabei können sie jedoch nicht willkürlich vorgehen. Es gibt vielmehr bestimmte ökonomische Gesetze, die bestimmen, was beim Konkurrenzkampf zwischen Kapitalisten und insbesondere zwischen Anbietern und Nachfragern schließlich herauskommt.
So bestimmt sich nach der Marxschen Arbeitswertlehre der Wert der Waren nach der zu ihrer Herstellung notwendigen Arbeitszeit. Der Wert drückt sich in einem Preis in Geld aus. Der Wert einer Ware besteht zunächst aus dem Wert der Vorprodukte. Dazu kommt der zusätzliche Neuwert, den die Arbeiter:innen gemäß ihrer Arbeitszeit neu diesen Vorprodukten hinzufügen, indem sie diese zum Endprodukt verarbeiten. Von diesem neu hinzugesetzten Wert fließt ein Teil an die Arbeiter:innen als Lohn zurück. Sie müssen ja ihre Arbeitskraft erhalten und brauchen dafür Waren zum Kaufen. Der restliche Teil des Neuwerts verbleibt als Mehrwert oder Profit beim Kapital. Je mehr Lohn, desto weniger Profit. Wenn nun Waren, welche die Arbeiter:innen für ihren Lebensunterhalt benötigen, teurer werden, sie deshalb einen höheren Lohn durchsetzen müssen, dann sinkt der Profit.
Im Herbst 2022 finden Tarifverhandlungen statt zwischen IG Metall und den Metallunternehmen, im Januar 2023 desgleichen in der Chemie-Branche. In beiden Fällen können die Unternehmen höhere Löhne nicht einfach in den Preisen weitergeben. Sie konkurrieren gegeneinander und die Kunden sind andere Kapitalist:innen, die nicht jede Preiserhöhung einfach hinnehmen.
Wenn im Herbst beim Öffentlichen Dienst höhere Löhne durchgesetzt werden, müssen die staatlichen Stellen vielleicht Steuern anheben. Dies erfordert eine gerechte Besteuerung, indem höhere Einkommen und Vermögen stärker besteuert werden.
Die Zentralbank könnte allerdings künstlich durch übermäßiges Gelddrucken eine Inflation herbeiführen, die die höheren Löhne wieder entwertet. Das ist dann keine Lohn-Preis-Spirale, sondern ein Angriff der Zentralbank auf die Löhne. Die Hyperinflationen nach dem Ersten Weltkrieg sind ein Beispiel für solche künstlich herbeigeführten Inflationen. Sie sind für das Kapital problematisch. Einerseits machen sie Preiserhöhungen zum Ausgleich höherer Löhne einfacher, andererseits verliert das Geld laufend so an Wert, dass es schwer vorausberechnet werden kann. Der Kapitalismus braucht aber wertstabiles Geld. Währungen konkurrieren auf dem Weltmarkt gegeneinander, und eine inflationäre Währung verliert auf dem Weltmarkt an Bedeutung.
Die Kapitalist:innen drohen nicht nur mit der Lohn-Preis-Spirale, sondern auch mit Entlassungen. Das kapitalnahe IW-Institut rechnet mit bis zu 300.000 mehr Arbeitslosen 2023. Kleinere und mittlere Unternehmen gehen bereits pleite und entlassen ihre Beschäftigten. Größeren, wie Uniper, hilft derzeit der Staat. Pleiten können aber nicht durch Lohnzugeständnisse verhindert werden, im Gegenteil. Bäckereien gehen derzeit pleite, weil die Löhne nicht mit den höheren Preisen mithalten und die Arbeiter:innen auf Brot schlechterer Qualität ausweichen müssen. Gegen die Krise braucht es Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung, Verstaatlichungen und Besteuerung der Übergewinne.
Können denn die Gewerkschaften oder eine richtige Politik die Probleme lösen?
Nein. Es bedarf eines ständigen Klassenkampfes, um Schlimmeres zu verhindern. Preiskontrollen, Enteignungen, die Abschaffung der Übergewinne zugunsten der Gesellschaft sind Maßnahmen, die über den Kapitalismus hinausweisen. Ziel muss sein, für gesellschaftliche Bedürfnisse zu produzieren, nicht für privaten Profit. Stagflationen und wirtschaftliche Krisen im Allgemeinen sind in die DNA des kapitalistischen Systems eingeschrieben. Der einzige Weg, um diese und ihre Folgen dauerhaft zu bezwingen, ist die Kampfansage an den Kapitalismus.
Titelbild: JP Valery