Am Donnerstag wurde die Bundestagsresolution »Nie wieder ist jetzt« von der breiten Mehrheit des Parlamentes verabschiedet. Was der Resolutionstext bedeutet und was nicht, kommentieren N. P. Ackermann und Rachael Shapiro
Nach Monaten geheimer Hinterzimmer-Debatten unter deutschen Politiker:innen der Ampelfraktionen und CDU/CSU wurde am 7. November 2024 die Resolution zum angeblichen Schutz jüdischen Lebens mit dem Titel »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken« im Bundestag mit breiter Mehrheit angenommen. Einzig die BSW-Gruppe votierte dagegen, während sich die Linke-Gruppe enthielt. Die AfD stimmte mit Verweis, selbst früh vom »importierten Antisemitismus gesprochen zu haben« dafür.
Der Entwurf beinhaltet gefährliche Punkte, die politischer Instrumentalisierung und Repression Vorschub leisten sowie rechte, rassistische Narrative stärken – unter dem Vorwand, vermeintlich Antisemitismus zu bekämpfen, um Menschen daran zu hindern, den Genozid beim Namen zu nennen und die Solidaritätsbewegung zu diffamieren.
- »Die Entwicklung seit dem 7. Oktober 2023 ist sowohl auf einen zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus als auch auf einen relativierenden Umgang und vermehrt israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus zurückzuführen.«
Nicht nur setzt der Resolutionsentwurf rechts und links gleich, er bestätigt imperialistische Interessen, indem er das »links-antiimperialistische« Spektrum als Feind markiert. Hinter dem Entwurf steht der Versuch, durch die Delegitimierung und Entrechtung unliebsamer Meinungen – etwa für die Menschenrechte und Selbstbestimmung der Palästinenser:innen – wirtschaftliche und geopolitische Interessen Deutschlands zu schützen und durchzusetzen. Historisch gesehen war die Verfolgung linker Gruppen und studentischer Bewegungen oft ein erster Schritt, um Opposition gegen staatliche Interessen auf dem Weg zum autoritären Staatsumbau zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen.
- »In den vergangenen Monaten ist nicht zuletzt das erschreckende Ausmaß eines Antisemitismus deutlich geworden, der auf Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens basiert, aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, in denen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, auch aufgrund islamistischer und antiisraelischer staatlicher Indoktrination, verbreitet sind.«
Mit dieser Aussage setzt der Staat die reale Gefahr des rechtsextremen Antisemitismus mit der vagen Bezeichnung »Islamismus« gleich, die vielfach als Generalverdacht auf alle muslimisch gelesenen Menschen angewandt wird. Im Entwurf wird sogar behauptet, dass ein erschreckendes Ausmaß von Antisemitismus aufgrund der Zuwanderung von Menschen aus nahöstlichen und nordafrikanischen Ländern besteht. Statt rassistische Hetze zu bekämpfen, wird hier also im Gegenteil Rassismus bereitwillig Vorschub geleistet.
- »Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.«
Die Streichung von Geldern für palästinasolidarische Organisationen und Projekte führt zu einer weitreichenden, staatlich sanktionierten Repression gegen legitime Formen des Einsatzes für Menschenrechte der Palästinenser:innen. Bereits die rechtswidrige BDS-Resolution von 2019 hat die zu erwartenden Folgen aufgezeigt: Ziel war nicht nur BDS, sondern jegliche Form der Solidarität mit den Palästinenser:innen. Als die jüdisch-palästinensische Dialoggruppe in München einen Dokumentarfilm zeigen wollte, versuchte die Stadt München Raumverbote auf der Grundlage der BDS-Resolution zu begründen, weil in dem Film auch die völkerrechtswidrige Apartheidsmauer vorkäme, deren Abriss in einer der drei Forderungen von BDS gefordert ist.
Durch die Gleichsetzung des Zionismus und des Staates Israel mit dem Judentum allgemein versucht der deutsche Staat, die gesamte Solidarität mit Palästina und jede Form der Kritik an Israel zu kriminalisieren, um seine imperialistischen, geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen zu schützen und zu rechtfertigen.
- »Dies muss uneingeschränkt auch für Lehrende wie Studierende mit jüdischen Wurzeln, israelischer Herkunft oder mit israelsolidarischem Denken gelten.«
Die Ausweitung der Definition von Antisemitismus auf Situationen, in denen nichtjüdische Personen mit »israelsolidarischem Denken« betroffen sind, dient zur weiteren Verwässerung des Antisemitismus-Begriffs. Antisemitismus wäre somit nicht mehr gegen jüdische Menschen gerichtet. Nach dieser Definition kann ein:e Deutsche:r mit zionistischen Überzeugungen als Ziel von Antisemitismus gelten, wenn er oder sie mit Kritik einer antizionistischen jüdischen Person konfrontiert ist. Diese Definition bedient sich am antisemitischen Konzept, Jüd:innen als monolithische Gruppe darzustellen, die ausschließlich aus Zionist:innen besteht.
Sogar Statistiken zu vergangenen Fällen von Antisemitismus entnimmt der Resolutionsentwurf der ideologisch motivierten RIAS-Stiftung, für die bereits die Erwähnung des Wortes »Palästinas« ein Fall von Antisemitismus sein kann und die sich an der hoch umstrittenen, unwissenschaftlichen und politisch instrumentalisierbaren IHRA-Definition zu Antisemitismus bedient, die Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichsetzt. Genau diese Definition möchte die deutsche Regierung anstandslos anerkennen und als Instrument der Repression einsetzen. Während die vier antragstellenden Fraktionen mit Bezug auf RIAS seit dem 7. Oktober einen Anstieg des »Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus auf einem seit Jahrzehnten nicht dagewesenen Niveau« sehen, verzeichnet das Bundeskriminalamt derzeit einen starken Rückgang antisemitischer Straftaten. Siehe hierzu auch die Jerusalemer Erklärung zu Antisemitismus.
- Folgende konkrete Repressionsmaßnahmen im »Kampf gegen Antisemitismus« schlägt die Resolution vor:
- Keine staatliche Förderung von Antisemitismus: »Der Deutsche Bundestag bekräftigt die haushaltsrechtlichen Regelungen für die Mittelvergabe auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für alle Zuwendungsempfänger des Bundes. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seinen Beschluss, dass sicherzustellen ist, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels infrage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen.«
- Gesetzesänderungen: Es müssten Gesetzeslücken geschlossen und repressive Möglichkeiten konsequent ausgeschöpft werden, heißt es. Dies gelte in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht.
- Verbot von Organisationen: »Nach dem Betätigungsverbot für die Terrororganisation Hamas sollen weitere extremistische Organisationen überprüft und verboten werden. ›Dazu zählt, dass auch ein Betätigungsverbot oder ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland geprüft wird.‹«
- Kunst und Kultur: Länder, Bund und Kommunen sollen, soweit noch nicht erfolgt, »rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden.« Die Antisemitismusskandale der vergangenen Jahre – das Papier nennt ausdrücklich die documenta fifteen in Kassel und die Berlinale im Februar 2024 – »müssen umfassend aufgearbeitet werden.«
- Schulen und Hochschulen: Schulen und Hochschulen sollen darin unterstützt werden, durch Anwendung des Hausrechts antisemitische Übergriffe zu ahnden, zum Beispiel durch Ausschluss vom Unterricht oder gar der Exmatrikulation. Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf die Länder einzuwirken, die Hochschulgesetze auf Lücken bei Sanktionsmöglichkeiten zu überprüfen.
6. »Repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen (NASAS, S.39). Dies gilt in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht, um eine möglichst wirksame Bekämpfung von Antisemitismus zu gewährleisten«
Im Wesentlichen richten sich diese Repressionen gegen die Menschen, die am meisten zu verlieren haben, nämlich die Migrant:innen und insbesondere die Palästinenser:innen, die entweder keine Aufenthaltserlaubnis oder keine Papiere haben, um die am stärksten betroffenen Menschen zum Schweigen zu bringen.
Diesen Menschen in Deutschland droht Abschiebung, Ablehnung von Asylanträgen und Verweigerung der Staatsbürgerschaft, während ihre Familien in Palästina brutaler Unterdrückung mit Teils deutschen Waffen ausgesetzt sind. Somit wird die Politik des Staates Deutschlands zu einer Fortsetzung des unterdrückerischen Systems gegen die Palästinenser:innen, das nur durch deren vollständige Entmenschlichung gerechtfertigt werden kann.
Gegenwehr von unten aufbauen
Wie die BDS-Resolution von 2019 hat die Antisemitismus-Resolution des Bundestags zwar keine rechtliche Grundlage, wird aber als Legitimation für das Streichen finanzieller Mittel, Raumentzüge, Jobverlusten und Repression eingesetzt werden. Vor Gericht werden diese Maßnahmen als klare Angriffe auf die Meinungsfreiheit ebenso wenig standhalten können. Die finanziellen und zeitlichen Kapazitäten, die eine notwendige Anfechtung in Anspruch nehmen, werden jedoch hoch sein.
Umso wichtiger ist es, dass wir die kommende Repressionswelle auf Basis der rechtswidrigen Resolution als Angriff auf uns alle erkennen und kollektive Gegenwehr von unten organisieren, die Mobilisierungen, Solidaritätskampagnen, kollektive Spendenkampagnen für Rechtsfonds und breit gestützten Rückhalt gewährleistet.
Titelbild: Besetzung gegen Besatzung