Demonstration gegen Barnier in Frankreich

Frankreich: Barniers Sturz stärkt die Linke

Wahlverlierer und trotzdem Premierminister, jetzt brachte die Neue Volksfront Michel Barnier zu Fall

Der Wahlverlierer ist kein Premierminister mehr. Die Wahlen im Juli 2024 hatten Frankreich ein Parlament beschert, das in drei große Blöcke aufgeteilt ist. Es gibt die Mitte-Rechts-Bewegung um Macron, die Faschisten des RN und das Linksbündnis (Neue Volksfront – NFP). Letzteres dominiert die radikale linke La France Insoumise (Frankreich in Aufruhr – LFI). Die Linke hatte mehr Abgeordnete als jeder der beiden anderen Blöcke.

Hauptziel von Präsident Macron war es, eine Regierung mit einem radikalen Programm zu vermeiden. So ernannte er Michel Barnier von der traditionellen Rechten zum Premierminister. Macrons Hoffnung war, dass die faschistischen Abgeordneten die Regierung ausreichend unterstützen würden, um zu überleben. Die französische Verfassung lässt keine neuen Parlamentswahlen bis zum nächsten Juli zu.

Barnier bedeutete Kürzungen

Die Regierung Barnier beschleunigte die Sparpläne. Der Ministerpräsident beabsichtigte, die öffentlichen Ausgaben um weitere 50 Milliarden Euro zu kürzen. Macrons Manöver ermöglichten es den Faschisten des RN, durch ihre unterstützende Rolle viel Ansehen und Sympathie beim Establishment zu gewinnen.

Barnier ernannte rechtsextreme, einwanderungsfeindliche Minister wie Bruno Retailleau, um den RN zu besänftigen. Seine Regierung schürte Islamophobie, indem sie zum Beispiel das Verbot langer „Abaya“-Kleider, die muslimisch aussehen könnten, an Gymnasien bestätigte. Doch Anfang Dezember beschloss die RN, einem Misstrauensantrag des Linksbündnisses zuzustimmen.

Macron konnte Barniers Sturz nicht verhindern

Als Barnier erkannte, dass seine Regierung wahrscheinlich stürzen würde, versuchte er verzweifelt, die Abgeordneten umzustimmen. Er warnte davor, wie verärgert Brüssel sein würde und wie die internationalen Banken Frankreich dafür bestrafen würden.

Präsident Macron war derweil am Tag der Abstimmung in Saudi-Arabien. Dort führte er Designer-Sonnenbrillen vor und verkaufte Kampfflugzeuge. Macron tat so, als stünde er über den Dingen. In den letzten Monaten versuchte er, aus den Olympischen Spielen und der Wiedereröffnung der Kathedrale Notre Dame das letzte Quäntchen Glanz herauszuholen. Er hoffte, dass dies seine Rolle als Vollstrecker der schmutzigen Kräfte des Profits verbergen würde.

Kampagne gegen die Linke

Einige Stimmen in der Linken sagen, es sei ein Fehler gewesen, einen parlamentarischen Antrag zu unterstützen, für den auch die Faschisten stimmen würden. Dies ist ein gefährlicher Fehler. Da die faschistischen Parteien weder ehrlich noch prinzipientreu sind, würde eine solche Haltung die Linke ihren Launen ausliefern. Natürlich hat das Macron-Lager im Parlament diese Woche so getan, als seien die Faschisten und die radikale Linke jetzt Busenfreunde.

Tatsächlich waren die Faschisten gezwungen, für einen Misstrauensantrag zu stimmen, der das rassistische Einwanderungsgesetz aus dem letzten Jahr klar anprangerte. Der Text beschrieb es als „abscheulich“ und „moralisch bankrott“.

In seiner Eröffnungsrede für den Antrag prangerte Eric Coquerel von der LFI die Zugeständnisse an die RN an. Er bestand darauf, dass die Besteuerung der Reichen im Mittelpunkt der Politik stehen müsse. Er brachte seine Unterstützung für die beginnenden Streikbewegungen zum Ausdruck. Außerdem forderte er die Amtsenthebung Macrons. Marine Le Pen verteidigte in ihrer unmittelbar darauf folgenden Rede das Unternehmertum, die Steuersenkung und den Angriff auf die Eingewanderten. Sie sprach sich gegen die Amtsenthebung Macrons aus.

Barniers Sturz stärkt die Linke 

Der Sturz von Barnier ist ein Sieg für die Linke. Die NFP sollte als größte Gruppe von Abgeordneten die Möglichkeit haben, eine Regierung zu bilden. Das fordert auch die LFI. Das Bündnis hat ein radikales Programm und eine Kandidatin für das Amt der Premierministerin: Lucie Castets.

Am Tag nach dem Misstrauensvotum hielt Macron eine feierliche Rede an die Nation. Sie könnte als inhaltsleerste Rede des Jahrhunderts in die Geschichte eingehen. Er behauptete einfach, dass die extreme Rechte und die Linke sich nicht um die einfachen Menschen kümmern, er aber schon.

Da Macron sich weigert, zurückzutreten, hat er nun die Wahl zwischen drei Möglichkeiten. Er könnte die Demokratie respektieren und der Linken erlauben, eine Regierung zu bilden. Er könnte einen neuen rechten Premierminister ernennen, der noch offener für eine Zusammenarbeit mit den Faschisten ist als sein Vorgänger. Oder er könnte ein weiteres Mal versuchen, das Linksbündnis zu spalten und einige Abgeordnete der Sozialisten und der Grünen in eine gemeinsame Links-Rechts-Regierung zu ziehen.

Zerbrechliche Einheit

Das Linksbündnis hält vorerst, ist aber brüchig. Der rechte Flügel der Sozialistischen Partei sucht nach einem Ausweg. Im September stimmte der nationale Ausschuss der Partei mit 38 zu 33 Stimmen für den Verbleib im Bündnis. Umfragen zeigen, dass ein Drittel der Wählerschaft der Sozialistischen Partei nicht wollte, dass Barnier fällt. 5 ihrer 62 Abgeordneten weigerten sich, ihn abzuwählen.

So glaubt die Rechte der Partei, dass sie Spielraum hat. Die Fortsetzung der massiven Verleumdungskampagne gegen Jean-Luc Mélenchon und die LFI, die sie als antisemitisch und als Unterstützer des Terrorismus beschuldigt, ist ein wichtiger Teil ihrer Taktik. Die meisten Medien unterstützen diese Kampagne.

Sozialistische, Grüne und Kommunistische Partei schwanken

Auch in der Grünen Partei und in der Kommunistischen Partei gibt es Gruppierungen, die mit der Radikalität des NFP-Programms unzufrieden sind. Sie befürchten, dass die LFI weiter an Größe und Einfluss gewinnen wird. Sie suchen nach Möglichkeiten, nach rechts zu rücken. Yannick Jadot, einer der einflussreichsten Grünen-Führer, erklärte am Donnerstag im nationalen Radio, er wolle nicht, dass Macron zurücktritt.

Da sie nicht bereit sind, das linke Programm offen zu kritisieren, sagen sie, dass ein anderer Kandidat für das Amt des Premierministers, der weniger gegen Macron ist als Lucie Castets, ein guter Schritt wäre. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass diese verschiedenen Manöver in absehbarer Zeit zu einer tragfähigen Links-Rechts-Regierung führen werden.

La France Insoumise im Zentrum

Das Gravitationszentrum der Linken bleibt La France Insoumise. In den letzten Monaten haben sich ihre Abgeordneten bemüht, die großen Themen, die die Arbeiterklasse betreffen, in der Debatte zu halten.

So legten sie beispielsweise einen Gesetzentwurf vor, um die im letzten Jahr vorgenommene Anhebung des Regelrentenalters rückgängig zu machen. Macrons Abgeordnete mussten auf Obstruktionstaktiken zurückgreifen, um eine Abstimmung zu verhindern. Ein anderer Gesetzentwurf hätte den Straftatbestand der „Äußerung zur Unterstützung des Terrorismus“ abgeschafft. Dieses Delikt trifft in der Realität vor allem die Umweltbewegung, die Solidaritätsbewegung mit Palästina und Gewerkschaften.

Das größte Aktivennetzwerk seit langem

Vor Ort behaupten einige, dass die lokalen LFI-Aktionsgruppen inzwischen über 400.000 Mitglieder haben. Das ist wahrscheinlich übertrieben, aber es ist sicherlich das größte Aktivennetzwerk seit Jahrzehnten. Da es sich um eine linksreformistische Gruppierung handelt, wird natürlich viel Wert auf Wahlen gelegt. Dennoch sind die LFI-Aktionsgruppen sehr stark in die Bewegung gegen den Völkermord in Gaza eingebunden.

Jede lokale Gruppe hat ein hohes Maß an Autonomie. Zu den LFI-Aktivitäten in meiner Nähe gehört die Mobilisierung zur Unterstützung obdachloser Migrantengruppen, die Gebäude besetzen, um dort unterzukommen. Dazu kommt die Organisation einer Karawane unter dem Motto „Kenne deine Rechte“, um arme Wohnsiedlungen zu besuchen, das Sammeln für Lebensmitteltafeln und vieles mehr. In einer nahegelegenen Stadt haben LFI-Gruppen Flugblätter an Schulen verteilt, um eine rechtsextreme Gruppe „wachsamer Eltern“ an den Rand zu drängen, die Hass gegen Trans-Menschen und andere LGBT+-Gruppen schürten.

RN zeigt reaktionäre Ideen 

Als der RN für den Misstrauensantrag stimmte, betonten seine Abgeordneten, dass sie die einfachen Leute vor den Haushaltskürzungen, den Rentenkürzungen und vor dem Anstieg der Strompreise schützen wollten. Aber die letzten Monate haben nur ihre schrecklich reaktionären Kernideen bestätigt.

Sie plädierten dafür, jegliche Sexualerziehung in den Schulen zu unterdrücken. Die rechtsgerichtete Gruppe Nemesis, die mit dem RN verbunden ist, geriet mit ihrer Behauptung, dass Einwanderung die Hauptursache für sexuelle Gewalt sei, in die Schlagzeilen.

Kampfgeist und „spektakulärer Wandel“

Egal, wen Macron als Nachfolger von Barnier auswählt, der Widerstand gegen die Sparpolitik geht weiter.  Am Donnerstag, dem 5. Dezember, legten bei einem eintägigen Streik im öffentlichen Dienst mindestens zwei Drittel der Grundschullehrkräfte die Arbeit nieder. Dazu kam das Personal von Müllabfuhr, lokalen Behörden und andere. 200.000 Menschen demonstrierten im ganzen Land.

Ab dem 11. Dezember sind Streiks bei der Bahn geplant. Selbst Universitätsleitungen lehnen sich gegen Haushaltskürzungen im Hochschulbereich auf. In der Privatwirtschaft gab es in den letzten Wochen eine Welle von Entlassungsankündigungen. Der Reifenhersteller Michelin, die Supermarktkette Auchan und der Automobilhersteller Valeo haben unter anderem Fabrikschließungen angekündigt.

Neue Krise nach Barniers Sturz

Die Krise in Frankreich tritt in eine neue Phase ein. Es ist notwendig, sowohl darauf zu bestehen, dass Macron die Demokratie respektiert und eine linke Regierung zulässt, als auch die Streikbewegungen aufzubauen. Die Streiks gegen Kürzungen sind entscheidend. Die Lehrkräfte wehren sich gegen die Angriffe auf das Recht auf Krankheitsurlaub. Die Beschäftigten der Eisenbahn kämpfen gegen die Privatisierung der Güterzüge.

Es müssen Wege erörtert werden, um diese Kampfbereitschaft mit einer politischen Vision und Strategie für einen „spektakulären Wandel“ (um den Ausdruck von Mélenchon zu verwenden) zu verbinden. Marxistinnen und Marxisten sollten viele Ideen in diese Debatten einzubringen haben.

John Mullen ist ein in der Gegend von Paris lebender Marxist und Teil der lokalen Gruppe France Insoumise. Seine Website lautet randombolshevik.org