Studierendenproteste haben das alte Regime in Bangladesch zu Fall gebracht, aber es gibt einen Kampf darum, was als nächstes kommt, schreibt Yuri Prasad
Die Studenten:innen und Demokratieaktivist:innen, die die verhasste Diktatorin Sheikh Hasina gestürzt haben, müssen aufpassen, nicht um ihren vollständigen Sieg betrogen werden. Bangladesch hat letzte Woche eine Übergangsregierung vereidigt, an deren Spitze der 85-jährige Nobelpreisträger Muhammed Yunus steht.
Dieser Pionier der Mikrofinanzierungsprogramme ist die Wahl vieler studentischen Aktivist:innen und genießt bei den Armen und Prekären eine gewisse Popularität. Zu seinem neuen Kabinett gehören die beiden Studenten Nahid Islam und Asif Mahmud, die an der Spitze der Anti-Regierungsproteste standen.
Die Übergangsregierung, die Studierenden und die Herrschenden
Die Entscheidung, Yunus zum Chefberater der Übergangsregierung zu ernennen, folgte auf ein Treffen zwischen dem Militär, der offiziellen Oppositionspartei BNP und den Studierenden.
Die Vertreter waren sich darin einig, dass innerhalb von drei Monaten vollständige, demokratische Wahlen abgehalten werden sollten. Die Studierenden bestanden zu Recht darauf, dass die Armee aus der Übergangsverwaltung ausgeschlossen werden sollte. Im Amt wird Yunus gezwungen sein, einen Balanceakt zu vollziehen.
Er sieht seine erste Aufgabe darin, den Studierenden zu versichern, dass das alte Regime tot ist und ein weiterer demokratischer Wandel bevorsteht. Aber er will auch der herrschenden Klasse versichern, dass er das Land stabilisieren und die Autorität des Staates wiederherstellen kann.
»Ihr habt mir euer Vertrauen geschenkt, die Studierenden haben mich gerufen, und ich habe darauf geantwortet«, sagte Yunus, umgeben von Studierendenführern, die Jahrzehnte jünger sind als er. »Wir müssen dafür sorgen, dass niemand in diesem Land angegriffen wird. Das ist unsere erste Verantwortung«, fügte er hinzu.
Polizei tötete systematisch Protestierende
Während seiner kurzen Erklärung kämpfte er wiederholt mit den Tränen, als er über Abu Sayeed sprach, einen Studierendenprotestler, dessen Ermordung durch die Polizei von einer Kamera aufgezeichnet wurde und zur Wut der Aufständischen beitrug.
»Mein erstes Wort ist, dass Sie das Land vor Chaos bewahren«, bat Yunus. Anhaltende Gewalt in Bangladesch ist eine Realität. Die verhasste Polizei ist von den Straßen verschwunden und untergetaucht.
Studierende, die sich für ihre toten und verletzten Kommiliton:innen rächen wollen, machen Jagd auf sie und brennen Polizeistationen nieder. Zusammen mit den örtlichen Moscheen versuchen sie, in vielen Stadtteilen eine Art Ordnung zu wahren.
Der öffentliche Dienst ist weitgehend lahmgelegt, die Wirtschaft liegt in Trümmern, und die Devisenreserven schwinden. Der Zusammenbruch eines Großteils des Staates bedeutet, dass eine Atmosphäre extremer Spannung herrscht.
Bangladesch zwischen Indien und China
Die Regionalmächte Indien und China beobachten das Geschehen mit großer Sorge und sind entschlossen, das strategische Gleichgewicht der Macht nicht zu stören, ganz gleich, welche Regierung schließlich gebildet wird. Indien pflegt seine Beziehungen zur herrschenden Klasse Bangladeschs, auch als Bollwerk gegen seinen Erzfeind Pakistan.
China hofft, das Land im Rahmen seiner Rivalität mit dem US-Imperialismus weiter in seine wirtschaftliche Umlaufbahn zu ziehen. Beide Mächte wären vielleicht glücklicher, wenn die Armee das Sagen hätte. Die Armee sagt, sie unterstütze Yunus und habe bisher keinen Versuch unternommen, selbst die Macht zu übernehmen. Ihre Führer sind seit langem an die korrupten Zuwendungen des alten, von der Awami-Liga geführten Staates gewöhnt.
Doch die Liga ist jetzt zerbrochen, nachdem Sheikh Hasina letzte Woche ins Exil gezwungen wurde und viele andere führende Persönlichkeiten von den wütenden Studierenden verfolgt werden.
Militär bringt sich in Stellung
Die Generäle in Bangladesch werden versuchen, die Übergangsregierung unter Druck zu setzen, damit sie bei der »Wiederherstellung der Ordnung« eine Rolle spielen – und der Armee weiterhin Geld und Macht zufließen.
Im Moment wissen sie, dass jeder Versuch, ein Militärregime zu errichten, die Massenbewegung neu entfachen würde und daher zu riskant ist. Die 200.000 Mann starke Armee kann nicht ohne weiteres über eine Bevölkerung von über 170 Millionen Menschen herrschen, und ihr Ansehen in der Bevölkerung und ihre Glaubwürdigkeit sind gering.
Die Armee wird jedoch versuchen, die Vorherrschaft zurückzugewinnen. Es besteht auch die Gefahr, dass entweder die neoliberale Bangladesh Nationalist Party oder die rechtsgerichtete islamische Partei Bangladesh Jamaat-e-Islami versuchen könnten, das politische Vakuum zu füllen.
Selbstaktivität der Studierendenbewegung
Der sozialistische Aktivist Mushtuq, der in der Hauptstadt Dhaka lebt, sagte dem Socialist Worker, dass sich die Studierendenführung der Gefahren bewusst sei.
»Der Massenaufstand der Studierenden zielt nicht nur auf die Absetzung von Hasina, sondern muss auch das autokratische System zerschlagen«, sagte er. »Die Studierendenführer:innen sind bereits der mächtigste Akteur in der Übergangsregierung.«
Mushtuq äußerte sich positiv über die Art und Weise, wie Studierende jetzt in den Straßen der Hauptstadt und darüber hinaus patrouillieren.
»Sie sorgen in Abwesenheit der Polizei für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in der Stadt Dhaka. Die Gesetzlosigkeit und der Vandalismus gehen von besiegten, bewaffneten Schlägertrupps der Awami-Liga und von organisierten klandestinen Gruppen islamistischer Militanter aus«, sagte er. »Die studentische Führung und die demokratische Linke haben sich zusammengeschlossen, um die Menschen aufzurufen, ihnen zu widerstehen und den Sieg zu unterstützen.«
Die Bewegung spiegelt eine Wut über die bangladeschische Gesellschaft wider, die über Diktatur und Korruption hinausgeht. Ihre Initialzündung war ein Gerichtsurteil zur Wiedereinführung eines Quotensystems für Regierungsstellen, von dem Anhänger der Awami-Liga profitierten.
Aber diese Wut war selbst eine Reaktion auf die massive Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen und Jugendlichen. Sie ist auch eine Reaktion auf die enormen Lebenshaltungskosten, die von den Arbeitnehmern, den Armen und einem Großteil der Mittelschicht getragen werden.
Diese Notlage hat sich nun in den letzten Wochen noch verschärft und das Übergangsregime unter enormen Druck gesetzt. Das Ziel, ein neues, demokratisches und sozial gerechtes Bangladesch zu schaffen, steht auf dem Spiel.
Titelbild: newsmedia.tasnimnews.com
Dieser Artikel erschienen zuerst am 13. August 2024 auf Socialist Worker
Aus dem Englischen von Carl Schreiber