Inszenierung der Angst: Wie Rechte Kriminalstatistik instrumentalisieren

Scholz und Merz lieferten sich im TV-Duell einen Überbietungswettbewerb im harten Vorgehen in der Asylfrage. Vor allem Merz unterfüttert seinen Rassismus mit der Kriminalstatistik. Was ist an den Zahlen dran? Von der Svu Redaktion

Mit Verweis auf Aschaffenburg hob der amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz hervor: »Wir können uns niemals abfinden mit solchen Taten und deshalb muss klar und entschieden gehandelt werden.« Worin das Handeln besteht, verkündete Scholz bereits ab Oktober 2023: »Abschieben im großen Stil!«. Sein Konkurrent Friedrich Merz schlägt in die gleiche Kerbe: Sein »Fünf-Punkte-Plan für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration« sei als Reaktion auf den Vorfall in Aschaffenburg eingebracht worden. Beide arbeiten mit einer Problembeschreibung und Scheinlösung, die besagt: Deutschland wird immer krimineller und unsicherer und der Grund dafür sind Migrant:innen. Aber halten ihre Behauptungen einem genaueren Blick stand?

Kriminalstatistik im Dienst der Stimmungsmache

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ist die Zahl der Messerattacken um fünf Prozent gestiegen. Dieser Anstieg ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Messerangriffe erst seit 2020 gesondert erfasst werden. Zuvor wurden diese in Straftatbeständen wie Mord, Totschlag oder Raub erfasst. Schwere Verbrechen wie Mord, Raub und Todschlag sind jedoch stetig gesunken. So fielen die Mordfälle von 1.600 pro Jahr auf etwa 200 pro Jahr. Durch die gesonderte Erfassung von Messerangriffen wird der Eindruck erweckt, die Anzahl an schweren Gewaltverbrechen würde wachsen, obwohl sie stark gesunken ist. 

Durch die Auswahl ganz bestimmter Merkmale oder Waffen, kann die Kriminalstatistik zur politischen Instrumentalisierung genutzt werden. Ein Messer ist im Gegensatz zu einer Schusswaffe als Tatwerkzeug leichter zu beschaffen und auch günstiger. Es liegt also nahe, dass ein Angriff mit einem Messer eher von Personen ausgeübt wird, die finanziell benachteiligt und mittellos sind. 

Besonders im Kontext der Migrations-Debatte können rechte und konservative Politiker wie Merz die Polizeilichen Kriminalstatistiken nutzen, um ein falsches Bild zu zeichnen. Dafür wird der Blick gezielt auf ganz bestimmte Delikte in ganz bestimmter Form gelenkt, die typischer für bestimmte Lebensumstände sind.

Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik sind 45 Prozent der erfassten Messerdelikte von »Nicht-Deutschen« begangen worden. Diese Zahl entspricht nicht exakt ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Doch ein Messer ist eine leicht verfügbare Waffe und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit häufiger von Menschen genutzt, die in prekären Verhältnissen leben und wenig Zugang zu anderen Mitteln haben. Aus diesen Zahlen lässt sich hingegen nicht ablesen, dass die Nationalität einer Person ausschlaggebend sein kann für eine bestimmte Form von Verbrechen wie Tötungsdelikte.

Abschiebungen bieten keine Sicherheit

Merz lenkt mit der Betonung einzelner Taten von tiefer liegenden strukturellen Ursachen von Gewaltdelikten ab. Die Annahme, der Migrationshintergrund einer Person sei ausschlaggebend für das Begehen eines Verbrechens, ist nicht nur statistisch falsch, sondern sie knüpft an rassenideologische Argumente des vergangenen Jahrhunderts an. Tatsächlich sind Faktoren wie soziale Ungleichheit, Exklusion, Armut und Diskriminierung ausschlaggebend für das Entstehen von Kriminalität. 

Einen kausalen Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität gibt es hingegen nicht. Dass Abschiebungen zu mehr Sicherheit führen würden, ist Propaganda. Tatsächlich zeigen Statistiken, dass Menschen aus Kriegs- und Krisenländern mit günstiger Bleibeperspektive und besseren Zugangschancen zur Gesellschaft, gemessen an allen Neuzuwanderern, deutlich unterdurchschnittlich Straftaten begehen. Gerade die Menschen, die häufig am härtesten vom politischen Versagen betroffen sind, werden zum Sündenbock gemacht.

Die Polizeiliche Kriminalstatistik selbst verstärkt rassistische Lesarten, indem sie Straftaten nach »Deutschen« und »Nicht-Deutschen« aufschlüsselt. Das vermittelt den irreführenden Eindruck, dass »deutsch sein« ein kriminalitätsverringernder Faktor wäre, was nicht stimmt.

Bei Scholz und Merz Instrumentalisierung der Tat von Aschaffenburg wird verschwiegen, dass neben dem mutmaßlichen Täter auch das Opfer und ein einschreitender Helfer Migrationshintergrund hatten. Statt sich mit den sozialen Ursachen von Kriminalität auseinanderzusetzen, wird von Merz und anderen ein Feindbild konstruiert, das ihnen die AfD schon seit Jahren vorgibt: die ausländischen »Messermänner«.

Während antimuslimischer Rassismus laut einer Claim-Studie alleine 2023 um 140 Prozent gestiegen ist, findet diese besorgniserregende Entwicklung kaum Beachtung in der politischen Debatte. Merz ebnet mit seinen Anträgen und Aussagen den Weg für die AfD und macht sie salonfähig.

Das Geschäft mit der Angst

Die AfD gewinnt seit ihrer Gründung vor allem durch Angstkampagnen: 2015 mit der Fluchtbewegung, 2022 inmitten steigender Energiepreise, 2023 bei zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheit. Die AfD legt also immer dann zu, wenn die regierende Politik soziale oder ökonomische Krisen erzeugt. Wenn vor allem konservative und liberale Politiker:innen dann durch ihr Entgegenkommen nach rechts die vermeintliche Brandmauer einreißen, machen sie der AfD den Weg frei.

Weil sie die sozialen Antworten umgehen, übernehmen konservative und liberale Parteien rassistische Hetze und normalisieren sie dadurch. Doch das eigentliche Problem bleibt: wachsende soziale Ungleichheit. Die Schere zwischen Arm und Reich würde auch dann weiterwachsen, wenn Asylsuchende schneller abgewiesen und der Islam vollends kriminalisiert werden würde. Denn das fehlende Geld liegt nicht bei Migrant:innen und Muslim:innen, sondern bei milionen- und milliardenschweren Kapitalist:innen.


Titelbild: Svu