Unsere Genossin Mitchie hat am 20.11. eine Rede auf der Kundgebung gegen die geplanten Kürzungen in der Wohnungsnotfallhilfe in Berlin gehalten. Wir dokumentieren ihre Rede
Mein Name ist Mitchie, ich arbeite als Sozialarbeiterin in der Wohnungsnotfallhilfe und bin privat unter anderem im Bereich Antirassismus, Antifaschismus und Antikapitalismus politisch aktiv.
Wir stehen hier heute vor dem Roten Rathaus, um gegen die angekündigten Kürzungen in der Wohnungsnotfallhilfe zu protestieren, die der Senat nun bekannt gab. So komplex die gesellschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahre zu sein scheinen, so gibt es jedoch ein unbestreitbares Zusammenspiel von politischen Entscheidungen, das die soziale Ungleichheit immer weiter vertieft.
Wohnungsnotfallhilfe unter Beschuss vom Staat
Wohnungslosigkeit ist mehr als nur das Fehlen eines Daches über dem Kopf – sie ist eine gesellschaftliche Krise, die Menschen an den Rand drängt und ihre Chancen auf ein würdevolles Leben massiv einschränkt! Die Wohnungsnotfallhilfe versucht zwar, diese Notlagen zu lindern, indem sie Schutzräume und Hilfsangebote bereitstellt. Doch die finanzielle Aushöhlung dieser Angebote verschärft die Situation ins Untragbare.
Die Wohnungsnotfallhilfe stellt Notunterkünfte zur Verfügung, bietet Unterstützung bei der Wohnungssuche und Beratung für die Menschen, die am meisten in unserer Gesellschaft ausgegrenzt sind. Diese Hilfsangebote wurden in den letzten Jahren immer weiter zurückgefahren, was die ohnehin schon schwierige Situation für obdachlose Menschen dramatisch verschärft.
Während unsere Bundesregierung Milliarden bei Hilfsangeboten für genau die Menschen einsparen möchte, die bereits von Diskriminierung, Marginalisierung und gesellschaftlichen Ausschluss betroffen sind. Das alte Spiel: Die Ärmsten werden immer ärmer und die Reichsten immer reicher. Als Sozialarbeitende können wir quasi nur von außen dabei zuschauen, wie die Gelder, die anderswo so viel nötiger scheinen, in Aufrüstung und Militarisierung des öffentlichen Raumes und eine Politik der stetigen Verdrängung gesteckt werden.
Sozialarbeit am Limit
Als Sozialarbeitende nehmen wir in unserer Arbeit eine unvermeidbare ethisch anspruchsvolle Doppelrolle ein. Während wir unsere Klient:innen bestmöglich, ressourcenorientiert, individuell versorgen und ihre Selbsthilfe stärken wollen, finden wir uns oft als unfreiwillige »Handlanger« eines kapitalistischen Systems wieder.
Es sind nicht Obdachlose oder Asylsuchende, die über Investitionen, Gehälter und Arbeitsverträge im öffentlichen Dienst entscheiden, sondern der Staat selbst! Es sind nicht Asylsuchende oder Obdachlose, die die Krankenhäuser, Arztpraxen und das Gesundheitssystem überlasten, sondern der staatliche Abbau des Gesundheitssystems auf Kosten der Bürger:innen und zum Profit der Unternehmenseigner:innen. Ebenso wenig legen obdachlose Menschen oder Migrant:innen fest, wie hoch unser aller Mieten sind – all das bestimmt ein profitorientierter Markt, der von einer winzigen Minderheit, von Kapitalist:innen, dominiert wird.
So wollte ein Träger der Wohnungsnotfallhilfe in Neukölln während der Kältehilfesaison eine Notunterkunft für 100 Menschen öffnen. Obwohl Senat und Bezirk bereits grünes Licht gaben und die Betten schon in der Anlieferung waren, scheiterte das Vorhaben letztendlich, weil der Inhaber einer der Nachbarimmobilien einen »Wertverlust« seiner eigenen Immobilie fürchtete.
Nicht auf unserem Rücken
»Berlin bleibt soziale Hauptstadt«, weil wir sozial sind. Weil wir uns nicht spalten lassen und die Menschen wieder einfangen, die systematisch aus der Innenstadt verdrängt werden sollen, bevor sie hinten runter fallen. Obdachlosenfeindliche Baumaßnahmen sollen wohnungslose Menschen aus dem öffentlichen Stadtbild verdrängen und haben hier in Berlin traurige Berühmtheit errungen.
Die Berliner Verkehrsbetriebe sind aktuell dabei, Repressionen gegenüber obdachlosen und »nicht angepassten« Menschen auszuweiten – gegen Menschen die sich angesichts des bevorstehenden Winters verstärkt auf Bahnhöfen und in öffentlichen Verkehrsmitteln aufhalten, um Schutz zu suchen. So soll verstärkt Sicherheitspersonal an diesen Orten eingesetzt werden, um diese zu überwachen und obdachlose Personen zu verdrängen.
Viele obdachlose Menschen meiden zwangsgemeinschaftliche Massennotunterkünfte, wenn sie denn überhaupt einen Platz bekommen – die in der Regel tagsüber verlassen werden müssen. Zwei Drittel aller obdachlosen Menschen berichten über Gewalterfahrungen in den Unterkünften, über Diebstahl, Konflikte, Rassismus und Aggressivität untereinander. Viele berichten, dass die Beratungsangebote unzureichend wären, wenn es denn überhaupt welche gibt. Für den Aufenthalt bis zum nächsten Abend fehlt es massiv an Tageseinrichtungen. Dafür gibts – wer hätte es geahnt – halt einfach »keine Gelder«.
Euer Militarismus gegen unsere Wohnungsnotfallhilfe
Die Bundesregierung hat vom 1. Januar bis 15. Oktober diesen Jahres 4.163 Ausfuhrgenehmigungen für Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von 10,9 Milliarden Euro erteilte, während wir hier im Schneeregen bei drei Grad Celsius stehen und darum betteln müssen, dass die Projekte nicht aufgegeben werden, die unter anderem den Menschen helfen sollen, die aufgrund von Krieg und Kriegsunterstützung bei uns Hilfe suchen müssen – oft vergebens. Denn am Ende ist es nicht Herr Evers (Senator für Finanzen) oder Frau Kiziltepe (Senatorin für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung), der die sozialen Missstände wieder ausbügelt, er verursacht sie.
Die Fragen, die wir uns stellen müssen, sind: Warum werden so viele Ressourcen in den deutschen Militarismus gesteckt – in die Finanzierung von Waffenlieferungen an kriegsführende Staaten, in einen laufenden Genozid, in die Aufrüstung von Polizei und Militär und den Ausbau von Überwachungsinfrastrukturen im öffentlichen wie im digitalen Raum, während man gleichzeitig die soziale Infrastruktur in unserem Land bewusst verrotten lässt? Warum fließen Milliarden in die Kriegstüchtigkeit unserer Söhne und Töchter, aber nicht in den Aufbau von Sozialwohnungen oder in den Ausbau von Wohnungslosenhilfen, die den Bedürftigen materiell helfen würde?
Die paradoxen Auswirkungen sind deutlich: Waffen, die in andere Länder geliefert werden, tragen zur Verdrängung von Menschen bei, die dann hierher fliehen müssen. Anstatt diese Menschen zu unterstützen, werden sie in unserem Land durch eine Kombination aus militärischer Aufrüstung, Kriminalisierung und sozialer Vernachlässigung weiter marginalisiert.
Butter und Häuser statt Kanonen!
Der aktuell um sich greifende Rassismus gegen Migrant:innen, Asylsuchende und Muslime:a diente der Ablenkung von der Haushaltskrise, der sich zuspitzenden kapitalistischen Konkurrenz im In- wie Ausland, und wir stehen vor einem Bundestagswahlkampf, der den antimuslimischen Rassismus der Regierenden erneut hochkochen lassen wird.
Für uns als Sozialarbeitende und andere Menschen im sozialen Sektor sollte nun noch mehr klar werden, dass wir dieses Spiel nicht mitspielen werden und wir uns nicht spalten lassen. Weder geflüchtete Menschen noch Empfänger:innen von Bürgergeld tragen die Verantwortung dafür, dass Geld lieber für Krieg als für Menschen ausgegeben wird!
Es ist an der Zeit, uns gegen diesen Kürzungswahn in der Wohnungsnotfallhilfe und auch in allen anderen sozialen Bereichen zu stellen – gegen die strukturelle Diskriminierung von Hilfebedürftigen, gegen den aufkommenden Rechtsruck, gegen den antimuslimischen Rassismus der AfD und ihrer Steigbügelhalter, gegen die Verdrängung und Deportation von Millionen, gegen Aufrüstung, Waffenlieferungen und die Militarisierung unserer Kieze. Butter und Häuser statt Kanonen!
Titelbild: Svu