Am Dienstag abend ist die Ampelregierung gescheitert. Finanzminister Lindner musste sein Amt räumen und weitere FDP-Minister:innen haben ihre Ämter niedergelegt. Eine Bewertung der aktuellen Lage von der Politischen Leitung von Svu
Bruch der Ampelregierung
Der Kampfbegriff, über den die Regierung zerbrochen ist, lautet »Schuldenbremse«. Einigkeit bestand, und besteht auch immer noch, zwischen den Parteien der Ampelkoalition, dass die Bundesregierung mit massiven Rüstungsausgaben auf die Entwicklung des Krieges in der Ukraine reagieren muss.
Soweit gehen auch die Unionsparteien (CDU/CSU) mit – und noch mehr seit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA und dem zu erwartenden Rückzug seiner Regierung aus der Unterstützung der Ukraine 2025. Der Koalitionsstreit entbrannte an der Frage der Finanzierung.
Der ehemalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) forderte dafür immense Einschnitte in das Sozialsystem, bei Renten, Bürgergeld, Steuererleichterung für Reiche und Konzerne, usw., eine Art Agenda 2035, was er in einer Talkshow unter dem Slogan »Kanonen statt Butter« zusammen fasste – ein Slogan, den der Nazi Rudolf Heß prägte, um die deutsche Bevölkerung auf das massive Aufrüstungsprogramm ab 1936 einzuschwören.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) wollten hingegen neue Schulden aufnehmen, um wenigstens einige ihrer sozialen Versprechen einlösen zu können, damit ihre Parteien bei den kommenden Bundestagswahlen überhaupt noch irgendeine Chance haben, nach dem Motto: »Kanonen und ein bisschen Margarine«.
Das Bundesverfassungsgericht kassierte im November 2023 die Umwidmung von 60 Milliarden Schuldenaufnahme aus der Coronakrise in den Energie- und Klimafonds, was die Krise der Regierung deutlich zuspitzte.
Aber der Niedergang der Regierungsparteien begann schon deutlich vorher. Die Maßnahmen zur Bewältigung der Coranakrise wie Kurzarbeit und Einmalzahlungen an die Tarifpartner konnten nicht verhindern, dass viele der Beschäftigten durch die hohe Inflation hohe Reallohnverluste und einen harten Einschnitt ihrer sozialen Lage hinnehmen mussten, während sich die Konzerne bereicherten.
Die Versuche der Regierung, die Energie- und Klimakrise mit marktwirtschaftlichen Maßnahmen wie Gasumlage, Heizungsgesetz und CO2-Steuer zu lösen, haben finanziell vor allem die Masse der Bevölkerung getroffen und zu einem Absturz in den Meinungsumfragen geführt. Auch viele andere Versprechungen, Probleme zu lösen, wie Mangel an preiswerten Wohnungen, an Personal in Schulen und Kitas und im Gesundheitssektor sowie der massiven Mängel in der Infrastruktur wurden gebrochen.
Symptom der kapitalistische Krise
Im Prinzip ist die Regierungskoalition an den zugespitzten Widersprüchen im Kapitalismus auseinandergebrochen.
Der Kapitalismus hatte sich weltweit nicht nachhaltig von der »Finanzkrise« 2008 erholt. Deutschland und andere führende Industriestaaten befinden sich seitdem in Stagnation, nur teilweise unterbrochen durch riesige staatliche Rettungsmaßnahmen. Das heißt, ihre Wirtschaft wächst, wenn überhaupt, nur minimal.
Trotzdem sind in allen Ländern die Reichen reicher geworden. Auch bei einem Prozent Wachstum beanspruchen Konzerne wie VW 6,5 Prozent Kapitalrendite für ihre Aktionäre.
Gleichzeitig verschärft sich der globale Kampf um Ressourcen und Absatzmärkte – kriegerische Auseinandersetzungen und Rüstungswettlauf nehmen überall in der Welt zu. Auch Deutschland rüstet für hunderte Milliarden Euro auf. Wo soll dieses zusätzliche Geld herkommen, wenn die Gesellschaft nicht mehr produziert?
Das ist nur möglich durch Sozialabbau und Lohnkürzungen. Die Reichen lassen uns für ihre Gewinne und ihre globale Konkurrenz zahlen – und das in jedem Land der Welt und völlig unabhängig davon, welche Parteien gerade die Regierung stellen.
Deswegen wächst, völlig zurecht, die Unzufriedenheit mit der Politik. In den USA konnte Trump davon gewinnen, indem er sich mit nationalistischer Rhetorik als »anti-Establishment« und Verteidiger der »kleinen Leute« darstellt. Ähnliches versucht auch Sahra Wagenknecht mit ihrem BSW relativ erfolgreich.
In Deutschland profitiert aber hauptsächlich die faschistische AfD von der Stimmung. Sie macht vor allem die Zugewanderten für die sozialen Missstände verantwortlich und fordert folgerichtig die Deportation von Millionen als Scheinlösung der kapitalistischen Krisen.
Rückenwind bekommt die AfD von der Hetze gegen Geflüchtete und dem Rassismus gegen Muslime, die von mittlerweile allen Parteien im Bundestag außer der Linken betrieben wird – und von praktisch dem gesamten Spektrum der Medien.
Wahlkampf hat begonnen
FDP und CDU werden mit einer Art Agenda 2035 in den kommenden Bundestagswahlkampf ziehen – eine noch stärkere Umverteilung von unten nach oben.
SPD, Grüne, BSW und Linke versprechen uns eine sozialverträgliche Lösung der Probleme, indem wir sie wählen. Wie die Erfahrungen gezeigt haben, ist dies eine Illusion und wird wieder enttäuscht werden. Es kommt auf die Organisierung von gesellschaftlicher Gegenwehr an.
Wenn VW ihre Renditeerwartungen mit Lohnkürzungen, Personalabbau und Werksschließungen durchsetzen will, muss es Widerstand geben – bis hin zu Werksbesetzungen.
Wenn die Mietpreisbremse ausläuft, muss es Demonstrationen geben – für eine neue Mietpreisbremse, die tatsächlich die Mieten senkt.
In jeder Tarifverhandlung muss das Ziel sein, die Einkommensverluste durch die Inflation der letzten Jahre zumindest auszugleichen – ohne die Bereitschaft zu Streiks wird das nicht möglich sein.
Aber auch gegen den Rassismus der Parteien und Medien brauchen wir Gegenwehr. Die Spaltung in »Deutsche« und »Migranten« hilft nur den Herrschenden. Wir brauchen mehr Kampagnen und Demonstrationen wie die Seebrücke, die in den letzten Jahren Zehntausende gegen Rassismus auf die Straße gebracht hat.
Wir brauchen einen Kampf gegen die faschistische AfD. Die AfD wird den Wahlkampf zu nutzen versuchen, ihr rassistisches Gift weiter in der Gesellschaft zu verbreiten – und dabei ihren Nazikader aufzubauen. Aus der Geschichte wissen wir, dass aus solch einem Kader die Terrorarmee entsteht, die allen linken Kräften bis hin zur bürgerlichen Demokratie das Genick bricht, und ihre Rassenfantasien auf Kosten von Millionen Menschenleben umsetzt.
Deswegen darf es keinen Raum für Nazis geben – nicht für ihre Wahlkampfstände, nicht für ihre Saalveranstaltungen, nicht für ihren Parteitag. Nur mit entschlossenem und massenhaftem Protest können wir sie stoppen.
Waffenlieferungen stoppen!
Nicht zuletzt brauchen wir eine Ausweitung der Bewegung gegen die Kriege unserer Herrschenden – in der Ukraine, in Palästina und überall sonst: Stoppt die Waffenlieferungen!
Und gerade, um die Forderung nach einem Stopp der Waffenlieferungen an Israel selbstbewusst vertreten zu können, braucht es gute Argumente: Es hat nichts mit Antisemitismus zu tun, wenn man dagegen ist, dass Israel im Interesse ihrer westlichen Verbündeten konkurierende Regionalmächte bekämpft und damit die westliche Kontrolle über die Energiereserven der Region stärkt.
Es hat nichts mit Antisemitismus zu tun, wenn man dagegen ist, dass eine rechte Regierung in Israel ihre rassistisch begründete Fantasie eines ethnisch reinen Staates »vom Fluss bis zum Meer« durchsetzt und einen Genozid begeht.
Aber sich gegen die Heuchelei und Lügen der Herrschenden und ihrer Medien wehren zu können, braucht es eine Organisation, die konsequent auf der Seite der Unterdrückten steht, die die Ursache der Probleme im Kapitalismus sieht und bereit ist, sich auch bei Gegenwind an den Kämpfen gegen dieses System und seine schrecklichen Auswirkungen zu beteiligen.
Nutzen wir die kommenden Auseinandersetzungen im Wahlkampf, solch eine Organisation aufzubauen!
29. November um 19:00 bis 21:00
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Hybrid: Zoom & Berlin Gneisenaustr. 12, Berlin, Germany
Titelbild: Sandro Halank