Libanon unter Beschuss: Imperialismus und die israelische Eskalationslogik

Die Menschen im Libanon stehen unter schwerem Beschuss. In den ersten 24 Stunden hat die israelische Luftwaffe mit weit mehr als 1.000 Bombenangriffen bisher mindestens 492 Menschen getötet sowie über 1.645 verwundet. Von Mounir al-Ghazali

Seit dem 8. Oktober hat die Hisbollah täglich militärische Infrastrukturen in Israel angegriffen. Das erklärte Ziel ist es, israelische Kräfte im Norden zu binden, um den Widerstand gegen den Genozid im Gazastreifen zu unterstützen. Die Angriffe seien daher untrennbar mit der Lage in Gaza verbunden, wie der Generalsekretär der Hisbollah Hassan Nasrallah stets betont hat: Sobald die israelische Armee aus Gaza abziehe, werde Hisbollah auch seine Angriffe einstellen – keinesfalls allerdings davor. 

Der Beschuss der Miliz war daher darauf ausgelegt, eine konstante Präsenz der IDF zu erzwingen, ohne in einen größeren Krieg gezogen zu werden. Da ein Krieg mit Israel verheerend für die Hisbollah, vor allem aber für die Zivilbevölkerung sein wird, hatte die Partei weder außen- noch innenpolitisch ein Interesse daran. Ihre Attacken zielten ausschließlich auf militärische Infrastruktur in einem kleinen Gebiet nur wenige Kilometer hinter der Grenze. Die israelische Armee bombardierte ihrerseits täglich den Libanon und hielt ein deutlich höheres Aggressionslevel als die Hisbollah aufrecht. Bis zum 6. September gingen mit 7.845 Angriffen 82 Prozent der gesamten Attacken an der libanesisch-israelischen Grenze auf das Konto Israels. 32 getöteten Israelis in dieser Zeit standen 646 Getötete im Libanon gegenüber. Dennoch blieben auch die israelischen Angriffe auf relativ konstantem Niveau und zielten größtenteils auf militärische Ziele.  

Libanon: Ein Land im Kriegszustand

Die Massenbombardements Israels seit Montag sind eine mehrfache Eskalation der Gewalt. Nicht nur hat die israelische Armee die Anzahl der Attacken massiv gesteigert, auch das angegriffene Gebiet ist viel größer. Der israelische Kriegsminister Yoav Gallant hatte angekündigt, Ziele »im gesamten Libanon« anzugreifen und tatsächlich ist nicht nur der komplette Südlibanon betroffen, sondern auch der Osten des Landes und die Hauptstadt Beirut. Viel stärker als zuvor zielt Israel nun auch auf Zivilist:innen. Ganze Mehrfamilienhäuser, medizinische Zentren, Krankenwagen und Autos mit Flüchtenden hat die IDF zerstört. Tausende Menschen aus dem Süden suchen Sicherheit in anderen Landesteilen, sodass überall Stau herrscht. Luftschutzbunker, Alarmsirenen oder andere Schutzmaßnahmen gibt es jedoch nirgendwo. Alle Kindertagesstätten im ganzen Land sind ab heute geschlossen, genauso auch alle Schulen. In den Schulen werden derweil Unterkünfte für die vielen Geflüchteten errichtet. Das ganze Land ist im Kriegszustand.

Zivilbevölkerung im Fadenkreuz

Klar ist, dass die israelische Gewalt sich nicht nur gegen die Hisbollah richtet, sondern gegen die ganze libanesische Gesellschaft. Bereits am 4. Juli hatte der israelische Bildungsminister Yoav Kisch im Fernsehen verbreitet: »Es gibt keinen Unterschied zwischen Hisbollah und Libanon. So wie es vorangeht, werden wir den Libanon vernichten […] der Libanon, wie wir ihn kennen, wird aufhören zu existieren.«

Am 9. August sagte Kriegsminister Gallant ausdrücklich, »vor allem die Bürger des Libanons« würden »den Preis zahlen« müssen für die Kampfhandlungen der Hisbollah und fügte hinzu »was wir in Gaza tun, können wir auch in Beirut tun«. Fast schon Tradition hat die Drohung israelischer Politiker:innen »den Libanon in die Steinzeit zurückzuversetzen«.

Die Bombeneinschläge in Städten und den dicht bevölkerten Vororten Beiruts erinnern bedenklich an die »Dahie-Doktrin« aus dem israelisch-libanesischen Krieg von 2006. Sie ist benannt nach dem Beiruter Vorort, in dem die israelische Luftwaffe ganze Blocks von Häusern in die Luft gesprengt hatte. Nach diesem Vorbild nahm die israelische Armee die massenhafte Zerstörung ziviler Infrastruktur in ihre offizielle Kriegsplanung auf. In den Worten des israelischen Generals Gadi Eizenkot ist es das Ziel, »unverhältnismäßige Macht auszuüben und immensen Schaden und Zerstörung anzurichten«, um Druck auf die Miliz auszuüben. 

Auch die psychologische Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung hat Israel eskaliert. 80.000 Anrufe erreichten Libanes:innen in den letzten Stunden. Die israelische Armee forderte sie darin auf, ihre Region sofort zu verlassen, da Bombenschläge kurz bevor stünden. Gegenüber westlichen Medien behauptete die IDF schon während der Massaker in Gaza, mit solchen Anrufen alles zu tun, um zivile Opfer zu vermeiden. In Wirklichkeit aber folgen auf die Anrufe häufig überhaupt keine Angriffe, während tatsächlich angegriffene Zivilist:innen meist keine Warnung erhalten. Wie schon die ständigen, widersprüchlichen »Evakuierungsbefehle« im Gazastreifen sind die Anrufe also eher der Versuch, Panik und Verwirrung zu stiften, wovor auch der libanesische Informationsminister warnte. Trotzdem werden wir in den nächsten Tagen nicht nur von israelischer Seite das alte Märchen hören, wonach die Hisbollah und die Hamas die Bevölkerung als »menschliche Schutzschilde« missbrauchten. Diese Behauptung wurde noch nie belegt und schon oft widerlegt. Auch aktuell ist das Gegenteil der Fall: Mitglieder der Hisbollah klopfen persönlich an jede Tür, um die Menschen zur Flucht zu bewegen, während die IDF schon in den ersten Stunden dieses Kriegs 35 Kinder ermordet hat. 

Vergangene Provokationen gelangen nicht

Seit dem 7. Oktober hatte die israelische Regierung bereits mehrfach versucht, die Hisbollah und den Iran durch immer neue Aggressionen in einen Krieg zu locken. Dazu gehören unter anderem die Mordanschläge in Beirut am 8. Januar 2024 und dem 30. Juli, sowie die Bombardierung des iranischen Konsulats in Syrien am 1. April und die Ermoderung des Verhandlungsführers der Hamas Ismail Haniyeh in Teheran. Die Angriffe begleitete Israel mit einer ständigen Kriegs- und Bedrohungsrhethorik gegen den Libanon. Jedes Mal war die Antwort der Hisbollah und des Iran vorsichtig kalkuliert, um keinen Grund für eine weitere Eskalation zu liefern. Manches deutet darauf hin, dass der iranische Gegenangriff am 13. April sogar mit den USA abgesprochen worden ist und auf den Anschlag in Teheran hat der Iran bisher überhaupt nicht geantwortet. 

Die israelische Eskalation

Auf der anderen Seite zeigte die israelische Regierung hingegen erneut, dass sie an einem Ende der Gewalt überhaupt nicht interessiert ist. Der jüngste Beweis ist der massenhafte Terror gegen die libanesische Bevölkerung, als letzte Woche 3.300 Bomben in Kommunikationsgeräten im ganzen Land explodierten. Weit über die direkt Betroffenen hinaus, hat das Attentat Horror und blankes Entsetzen im Libanon verursacht. Der massenhafte Zustrom an Verletzten hat seitdem das libanesische Gesundheitssystem überlastet. Nun werden tausende zusätzliche Verletzte Versorgung benötigen. Selbst der ehemalige CIA-Chef Leon Panetta hat sich dazu durchgerungen, das israelische Attentat als ohne jede Frage »eine Form von Terrorismus« zu bezeichnen. Viele Medien in Deutschland begeisterten sich derweil für die vermeintliche Raffiness der Geheimdienstoperation. Letzten Freitag zerstörte die israelische Luftwaffe ein achtstöckiges Hochhaus in Beirut, tötete zwei Hisbollah-Kommandeure und dutzende Zivilist:innen. Die heutigen Angriffe sind nun eine klare Kriegserklärung. Es ist gut möglich, dass sie nur die Vorbereitung für eine Bodenoffensive sind. 

Auch in den Verhandlungen mit der Hamas hat Netanjahu ein Abkommen mit immer neuen Forderungen und Provokationen torpediert. Er und viele seiner Minister:innen brauchen die Kriegseskalation zum eigenen Machterhalt. Nicht nur ihr Versagen am 7. Oktober müssen sie kaschieren, auch ihre Unfähigkeit, die offiziellen Kriegsziele im Gazastreifen zu erreichen. Weder haben sie die Hamas besiegt, noch die Geiseln zurückgeholt. Auch die 90.000 aus dem Norden Israels evakuierten Menschen bedeuten einen innenpolitischen Handlungsdruck für die Regierung. Viel entscheidender aber ist eine koloniale und eine imperialistische Dimension der israelischen Eskalationslogik.

Libanon und Palästina

Wie jeder Siedlerkolonialismus teilt Israel die Menschen auf seinem Territorium ein in »höherwertige« Menschen (Jüd:innen) und »minderwertige« Menschen (Palästinenser:innen und alle anderen Araber:innen). Ziel ist es, die kolonisierte Gesellschaft zu zerstören und durch die eigene Siedler:innengesellschaft zu ersetzen. Damit ist klar, dass Israel, solange es das zionistische Kolonialprojekt verfolgt, die Palästinenser:innen nicht integrieren kann. Daher hat israelische Politik durch die Geschichte zwischen der Ausbeutung und der Vernichtung der Palästinenser:innen gewechselt – wobei beides Hand in Hand gehen kann.

Diese Politik ruft natürlich Widerstand hervor, der für das zionistische Projekt immer wieder zum Problem wird. Der Gazastreifen selbst mit seiner hohen Bevölkerungsdichte ist das Ergebnis vorangegangener Vertreibungswellen. Der Großteil der Menschen dort, musste selbst dorthin fliehen oder ist Nachkomme von Geflüchteten. Weder die städtische Infrastruktur noch die landwirtschaftliche Fläche waren je dazu geeignet, so viele Menschen zu versorgen. Es ist daher kein Wunder, dass hier der palästinensische Widerstand schon immer besonders stark war. Das Kolonialprojekt hatte sich so selbst ein »Sicherheitsproblem« geschaffen. Das Versprechen des Zionismus, jüdisches Leben zu schützen, hat diese kolonialistische Ideologie selbst verunmöglicht. 

Der israelische Staat hat wiederum immer wieder auf den palästinensischen Befreiungskampf reagiert. Vereinfacht lässt sich sagen: Je stärker der Widerstand, desto größer der koloniale Impuls zur Vernichtung, zu Vertreibungen und genozidalen Angriffen. Als Reaktion auf die zweite Intifada zwischen 2000 und 2005 zielte die israelische Politik gegenüber dem Gazastreifen darauf ab, seine Bevölkerung vollkommen zu kontrollieren, konstant zu schwächen und vom 48er-Gebiet wie dem Rest der Welt weitgehend abzuschneiden. Regelmäßige Massaker dienten dazu, den Willen und die Fähigkeit zum Widerstand immer wieder zu brechen – »den Rasen zu mähen«, wie es in Sicherheitskreisen menschenverachtend heißt. Die Politik im Westjordanland, relativ befriedet von den Kollaborateuren der »palästinensischen Autonomiebehörde«,  war hingegen eine schleichende ethnische Säuberung, mit der Ausweitung der Siedlungen und der schrittweisen Vertreibung der Palästinenser:innen von immer größeren Teilen des eigenen Landes.

Reaktionen auf das Scheitern der kolonialen Unterdrückung

Der 7. Oktober hat gezeigt, dass diese kolonialen Strategien gescheitert sind. Der palästinensische Widerstand hat dafür gesorgt, dass ihre Fortführung nun auch für Israel unerträglich geworden ist. Die israelische Gewalt im Gazastreifen folgt seitdem drei Impulsen, die in einander übergehen: Die Bestrafung, Vertreibung und die Vernichtung der Bevölkerung. (1) Direkt nach dem 7. Oktober stand die Bestrafung der Bevölkerung im Vordergrund, um die koloniale Schreckensherrschaft wieder zu etablieren und das erschütterte Selbstverständnis als überlegene Kolonialherren zu stabilisieren. (2) Zugleich gab es sofort Pläne zur Vertreibung der Bevölkerung, um sowohl das selbstgeschaffene »Sicherheitsproblem endgültig zu lösen«, als auch neues Land zur Besiedlung zu gewinnen. Solche Pläne scheiterten bisher an der Weigerung Ägyptens, seine Grenze für Flüchtende aus Gaza zu öffnen. Dadurch geriet anscheinend (3) die Option eines Genozids, der Vernichtung eines Teils oder sogar der Gesamtheit der Bevölkerung in den strategischen Fokus. 

Die israelische Rechte, die schon lange die völlige ethnische Säuberung des Gazastreifens und des Westjordanlandes zum Ziel hat, sieht den ständigen Kriegszustand daher als große Chance. Legitimiert durch den israelischen Opferdiskurs nach dem 7. Oktober lässt sich die ohnehin mobilisierte Armee nutzen, um möglichst viele Kolonialziele mit entfesselter Gewalt zu erreichen. Zusätzlich ist die globale Öffentlichkeit momentan zunehmend abgestumpft angesichts der täglichen Schrecken. Das Ansehen Israels hat zwar enorm gelitten, aber sobald der Ruf erst ruiniert ist, können weitere Verbrechen ihn auch nicht mehr erschüttern. Anders sähe es aus, wenn Israel nach einem längeren Waffenstillstand erneut eine Offensive starten würde. In dieser Logik ist der Zeitpunkt also gerade günstig, um den Krieg auszuweiten.

Auch die aggressive, israelische Großoffensive im Westjordanland seit Mitte August lässt sich so erklären. Kriegsminister Gallant bezog sich sogar deutlich auf den Strategiewechsel in Gaza, als er über die Offensive im Westjordanland sagte: »Wir mähen gerade den Rasen. Es wird auch der Moment kommen, an dem wir die Wurzeln ausreißen werden«.

Kaum versteckt ist hier der Wunsch, alle Palästinenser:innen loszuwerden, zu vertreiben, zu vernichten. 

Für diese koloniale Vertreibungs- und Vernichtungspolitik braucht der israelische Staat allerdings Zeit. Eine Bevölkerung und umso mehr, eine widerständige Bevölkerung zu vertreiben, ist gleichwohl mit logistischen Problemen verbunden. Ein Krieg im Libanon könnte der Regierung diese Zeit erkaufen. Sowohl gegenüber der Weltöffentlichkeit als auch gegenüber der eigenen Bevölkerung fällt es der israelischen Regierung und ihren Unterstützer:innen immer schwerer, die fortgesetzte Gewalt noch zu rechtfertigen. Ein neuer und weit gefährlicherer Krieg gegen den Libanon könnte helfen, die öffentliche Kritik zu dämpfen. Die Augen werden sich weg von Gaza und dem Westjordanland auf die »radikal-islamische, vom iranischen Mullah-Regime unterstützte Terrormiliz Hisbollah« richten. Angesichts der heftigen Kämpfe mit der Hisbollah werden die Forderungen nach einem Friedensabkommen eine Zeit lang verstummen. 

Noch besorgniserregender ist die weitaus direktere Kolonialpolitik, für die eine neu gegründete Siedler:innenbewegung im Libanon eintritt: Die Annektion des Südlibanons, die Vertreibung der Bevölkerung und die Besiedelung mit jüdischen Israelis. Noch ist die Bewegung klein, aber je nach Verlauf des Krieges könnte ihr Plan bald in erreichbare Nähe rücken 

Die imperiale Eskalationslogik 

Das zionistische Projekt setzte von Beginn an darauf, westlichen Imperialstaaten seine Dienste in seiner geopolitisch wichtigen Nachbarschaft anzubieten, um für die zionistische Agenda Unterstützung zu bekommen. Schon der Vater des Zionismus Theodor Herzl bewarb sein Projekt als »ein Stück des Walles gegen Asien«, man würde »den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen«. Das Wohlwollen des britischen Imperiums war ausschlaggebend für die Gründung Israels 1948. Seitdem stützt der Staat sich auf die USA und ihre Verbündeten – und umgekehrt. Diese Beziehung ist natürlich auch Veränderungen unterworfen. War Israel lange abhängig von US-amerikanischen Wirtschaftshilfen, hat es inzwischen mit dem Rüstungs- und Technologiesektor eine eigene wirtschaftliche Basis. Auch die politischen Kontakte hat Netanjahu diversifiziert, indem er sich rechtsextremen und autokratischen Herrschern wie Victor Orban oder Narendra Modi annäherte. Dennoch bleibt Israel im aktuellen Krieg absolut abhängig von der diplomatischen Unterstützung und den Waffenlieferungen der USA, Großbritanniens und Deutschlands. Ohne Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung von außen ginge der IDF in wenigen Tagen die Munition und der Regierung die Mittel aus. 

Angesichts der Länge der israelischen Aggression drängen inzwischen aber auch die USA und andere Verbündete sanft auf ein Abklingen der Gewalt. Nicht, weil sie irgendetwas an dem Massenmord an sich auszusetzen hätten, sondern weil Israels Politik ihr eigenes imperialistisches Interesse gefährdet. Die meisten arabischen Staaten sind Komplizen in Israels Kolonialherrschaft, während sie ihre eigene Bevölkerung unterdrücken. Ihr Schweigen im Angesicht des Genozids dröhnt laut in den Ohren vieler Araber:innen, sodass ein regionaler Aufstand droht, je länger das Schlachten andauert. Damit würden aber auch die USA ihre Verbündeten in dieser wichtigen und ölreichen Region verlieren. Aktuell möchten die USA keinen großen Krieg mit dem Iran riskieren, der ihre Truppen für längere Zeit binden würde. Das wäre ungünstig in einer Zeit der eskalierenden imperialen Konkurrenz mit China und Russland. 

Trotzdem haben die USA nun seit bald einem Jahr gezeigt, dass sie nicht gewillt sind, irgendeinen wirksamen Druck auf die israelische Regierung auszuüben. In den 1980ern drückte der US-amerikanische Außenminister Alexander Haig Israels Stellung für den US-Imperialismus so aus: »Israel ist der größte amerikanische Flugzeugträger der Welt, der nicht versenkt werden kann, keinen einzigen amerikanischen Soldaten an Bord hat und in einer für die nationale Sicherheit Amerikas kritischen Region liegt«. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Netanjahu selbst verglich Israel noch 2017 mit einem »mächtigen Flugzeugträger« der Vereinigten Staaten.

Auch die USA haben also ein Interesse daran, dass Israel als Kolonialstaat fortbesteht, und unterstützen daher grundsätzlich das Ziel, das zionistische Projekt nach dem 7. Oktober neu abzusichern. Spätestens, wenn Israel militärische Hilfe braucht, wird die US-Regierung zur Stelle sein – ganz egal, wie sehr die israelische Regierung sich selbst in diese Lage gebracht hat. Das haben die USA bei der Abwehr des iranischen Angriffs im April bewiesen. Eine Eskalation gegen die Hisbollah, die einen weitaus gefährlicheren Gegner als die Hamas darstellt, könnte der israelischen Regierung daher auch helfen, ihre Verbündeten wieder fest an sich zu binden. Möglicherweise gelingt es sogar, eine Konfrontation mit dem Iran zu provozieren, um mit Hilfe der USA Israels größten Konkurrenten um regionale Vorherrschaft zu schwächen. 

Tatsächlich befinden sich aktuell zwei Flugzeugträgergruppen der USA in der Region, von denen einer ursprünglich ins südchinesische Meer fahren sollte. Heute hat das Pentagon angekündigt, zusätzliche Truppen in die Region zu schicken, ohne allerdings zu erklären, wie viele und wohin genau. 

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Die unauflösbare Verstrickung des zionistischen Projekts und der israelischen Aggression im westlichen Imperialismus bedeutet aber auch: Wir hier in Deutschland sitzen inmitten der globalen Gewaltmaschinerie. Das heißt auch, dass wir im eigenen Land Sand in ihr Getriebe streuen können. Unsere Kämpfe gegen die deutsche Rüstungsindustrie, die Militarisierung unserer Gesellschaft, staatliche Repression und den drohenden Faschismus in Deutschland sind Teil eines globalen Kampfes. Es gilt in nächster Zeit, die Aufmerksamkeit auf den Libanon zu lenken, dabei aber nie das Westjordanland und den Gazastreifen aus dem Blick zu verlieren. Vielmehr müssen wir den Zusammenhang beleuchten, der zwischen israelischer Eskalation und Vernichtungspolitik, westlichem Imperialismus und der Unterstützung Deutschlands mit Waffenlieferungen besteht. 

So erschütternd die neue Eskalation der Gewalt auch ist: Der Angriff auf den Libanon wird in Deutschland das erlahmende Interesse an Israels Aggresionspolitik für eine Zeit neu entfachen – und das, so kurz bevor sich der 7. Oktober jährt. Vielleicht ist das eine Gelegenheit, auf den größeren Zusammenhang und auf die Eskalationslogiken hinter diesem Schrecken hinzuweisen. Nichts davon ist naturgegeben und nichts davon muss so bleiben. Es lohnt sich, für eine Welt zu kämpfen, in der es keinen Kolonialismus und keinen Imperialismus mehr gibt, keine Konkurrenz zwischen Staaten, keinen Kapitalismus und keine Kriege.


Titelbild: toponline.ch