Trump-Attentat: Wie die herrschenden Krisen nicht bekämpft werden

Das Attentat auf Trump legt die tiefen politischen Krisen der USA offen. Gleichzeitig zeigt es ebenfalls wie das System nicht erfolgreich bekämpft werden kann. Die moralische Entrüstung der Bourgeoisie darf dabei nicht zu unserer eigenen werden, kommentiert Simo Dorn

Am Samstag, den 13. Juli, hat ein Mann auf einer Wahlkampf-Rally mit einer Schusswaffe auf den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump geschossen. Trump überlebte das Attentat leicht verletzt. Der Schütze und ein Besucher der Veranstaltung starben.

Dieser Kommentar beteiligt sich nicht an der nun vielerorts gestellten Schuldfrage. Was war die Motiv des Täters und was seine Motivation? Hat der Täter alleine gehandelt? Diese Fragen zu beantworten wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum möglich sein, ohne zu spekulieren. Ebenfalls lenken diese Frage von den Folgewirkungen ab, die sich aus diesem Attentat für die Klasse an arbeitenden Menschen in den USA ableiten. Viel mehr ist dieses Attentat ein Ausdruck der tiefen politischen Krise der USA.

Über den Terror

Individueller Terror ist abzulehnen – hierin ähneln sich das Attentat auf den Vorsitzenden der islamfeindlichen und rassistischen »Pax Europa Bewegung« Stürzenberger in Mannheim und das auf den republikanischen Präsidentskandidaten. Denn, so Trotzki 1911, »der Mord an einem Fabrikbesitzer bewirkt nur Folgen polizeilicher Natur, oder einen Wechsel der Besitzer, völlig ohne jede soziale Bedeutung. Ob ein terroristischer Anschlag, sogar ein ‘erfolgreicher’, die herrschende Klasse in Verwirrung stürzt, hängt von den konkreten politischen Umständen ab. In jedem Fall kann die Verwirrung nur kurzlebig sein; der kapitalistische Staat selbst stützt sich nicht auf Minister und kann nicht mit ihnen beseitigt werden. Die Klassen, denen er nützt, werden immer neue Leute finden; der Mechanismus bleibt intakt und funktioniert weiter.« Denn »die Verwirrung, die in die Reihen der arbeitenden Massen durch einen terroristischen Anschlag getragen wird, ist viel tiefer. Wenn es ausreicht, sich mit einer Pistole zu bewaffnen, um sein Ziel zu verwirklichen, warum dann die Anstrengungen des Klassenkampfes? Wenn ein bisschen Schießpulver und ein Klumpen Blei ausreicht, dem Feind ins Genick zu schießen, welche Notwendigkeit besteht dann für eine Klassenorganisation? Wenn es sinnvoll ist, eine hochgestellte Persönlichkeit mit dem Lärm von Explosionen zu erschrecken, wo bleibt dann die Notwendigkeit einer Partei? Warum Versammlungen, Massenagitation und Wahlen, wenn man so leicht von der Galerie des Parlaments auf die Ministerbank zielen kann?

Eben deswegen ist individueller Terror in unseren Augen unzulässig: denn er schmälert die Rolle der Massen in ihrem eigenen Bewußtsein, denn er söhnt sie mit ihrer eigenen Machtlosigkeit aus und richtet ihre Augen und Hoffnungen auf einen großen Rächer und Befreier, der eines Tages kommen wird und seine Mission vollendet.«

Trump gewinnt an seinem Attentat

Durch die Opferrolle, die Trump nun annehmen kann, und die bürgerlich-moralische Wertung von »gewaltfreier Politik«, werden sich die Reihen hinter Trump schließen. So kommentierte es bereits Biden zum Trump-Attentat: »In Amerika gibt es keinen Platz für diese Art von Gewalt. Das ist einer der Gründe, warum wir dieses Land vereinen müssen. […] Der Gedanke, dass es in Amerika politische Gewalt oder Gewalt dieser Art gibt, ist einfach unerhört, er ist einfach nicht angemessen. […] Jeder muss das verurteilen.«. Trump-Sympathisant:innen können nun mit wenig propagandistischem Aufwand auf die republikanische Seite der US-Politik im Wahlkampf gezogen werden und überzeugte Trumpist:innen werden nur noch entschlossener zu ihm stehen. Das Attentat hat Trump lediglich der Präsidentschaft näher gebracht, ohne damit von Bidens geistigem und physischem Zustand und dessen Beitrag zu Trumps erneutem Aufstieg abzulenken. Eine umfassende Analyse der politischen Krise der USA wird einen eigenen Artikel benötigen.

Für Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse und gegen reaktionäre Maßnahmen und Gesetze braucht es breite, gesellschaftliche Mobilisierungen und keine individuellen Einzelaktionen politischer Gewalt.

Politische Gewalt gegen die palästinensische Bevölkerung und die Solidaritätsbewegung

Dass sich die Bourgeoisie nahezu geschlossen an die Seite Trumps stellen, von Biden, über Scholz, Baerbock, Steinmeyer, bis hin zu Knesset-Abgeordnete wie Israel Katz, zeigt die Verlogenheit und das Anlegen doppelter Standards im Bezug auf politische Gewalt und die Verurteilung dieser. So bombardierte Israel am gleichen Tag gezielt ausgewiesene »Schutzzonen«, wobei circa 90 Menschen starben. 90 Menschen, die in der schieren Anzahl von schätzungsweise weit über 40.000 Toten Palästinenser:innen, die in dem anhaltenden Völkermord durch Israel, zu verblassen drohen.

Ebenso erfährt die Palästina-Solidaritätsbewegung in Deutschland und im Westen immense Repressionen und wöchentliche Polizeigewalt, basierend auf der Willkür der Staatsraison. Die Stimmungsmache und Hetzkampagnen der bürgerlichen Parteien und Medien legitimieren seit Oktober 2023 ganz konkrete Gewalt und rassistische, antimuslimische Übergriffe. Die Zahlen dieser Angriffe sind seit Oktober mehr als 100 Prozent gestiegen. Diese politische Gewalt wird vom Regierenden und bürgerlichen Medien nicht nur legitimiert, sondern aktiv hervorgerufen, während gleichzeitig Gewalt von Arbeiter:innen und Ausgebeuteten, die sich in diesem System zur wehr setzen, als unmoralisch und antidemokratisch verurteilt wird.

Die Gewalt des Systems

Der Kapitalismus ist ein totalitäres und gewalttätiges System – man kann sich ihm nicht entziehen. Von Geburt an in ein Leben von Lohnarbeit gezwungen zu sein, weil man nicht das Glück hatte in Privateigentum an Produktionsmitteln geboren zu sein, ist politische Gewalt. Das Bildungssystem, das Gesundheitssystem, Sozialleistungen für Erwerbslose, Erwerbslosigkeit, die Angst davor bis hin zu Obdachlosigkeit – all das ist notwendige politische Gewalt gegen die Mehrheit der Menschen. Das Gewaltmonopol des Staates ist gerade deshalb ein ausgewiesenes Monopol, weil die herrschenden Verhältnisse nur mit der Gewalt des Staates, seiner Polizei, seiner Justiz, seiner Gesetzgebung für die Reichen stabilisierbar sind. Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und seine Instabilität sind politische Gewalt für die vielen, damit wenige daraus Profit schlagen können. 

Unsere Solidarität hat allen Unterdrückten und Betroffenen von Rassismus, Unterdrückung und Ausbeutung weltweit zu gelten. Trump und Biden sind gleichermaßen von dieser Solidarität ausgeschlossen – gleich welche Gewalt ihnen widerfährt.


Titelbild: CNN