Die neue Partei von Sahra Wagenknecht ist zum ersten Mal wählbar. Was ist der Charakter der Partei des ehemaligen LINKE-Mitglieds und was bietet sie Arbeiter:innen an? Von Christian Schröppel
Anfang Januar 2024 betrat mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eine neue Partei die politische Bühne in Deutschland. In der Pressekonferenz, die auf die Parteigründung folgte, kündigte Sahra Wagenknecht an, dass man die Partei geduldig und umsichtig aufbauen wolle. Das war auch eine Lehre aus der von Wagenknecht initiierten Kampagne »Aufstehen«, die vor allem durch den Zustrom von Menschen mit kruden Ideen, überschäumenden Hoffnungen und oftmals manifesten Karriereabsichten geprägt war.
Nun wählten die Parteimitglieder des BSW in Dresden Timo Backofen als einen von zwei Bewerbern der Partei für das Stadtparlament im Wahlkreis 4. Backofen wurde vor Kurzem vom Oberbürgermeister der Stadt Pirna, der der AfD angehört, als Büroleiter vorgestellt. Bereits vorher fiel Backofen in sozialen Medien mit Vokabeln wie »Brandmauerkasperltheater« auf. Die BSW-Vorsitzende in Sachsen sagt nun, Backofen sei nie Mitglied geworden.
BSW vs. AfD?
Die Personalie macht deutlich: Das BSW beteuert zwar, mit einem sozialen Politikangebot der AfD den Boden entziehen zu wollen. In der Realität finden sich dort aber viele ein, die die AfD als potentielle Bündnispartnerin sehen, die mit AfD-Positionen sympathisieren und die auch ein rechtes Bündnis, das die Brandmauer zur AfD niederreißt, als politische Perspektive begrüßen würden.
Das Programm des Bündnis Sahra Wagenknecht zur Europawahl ist ein Gemischtwarenladen, in dem auf den ersten Blick alle etwas finden, das ihrem Geschmack entspricht. So fordert das BSW in ihrem Programm zur Europawahl etwa, »Handelsbeziehungen sollten gleichberechtigt und fair sein«, lehnt das Handelsabkommen mit Südamerika, Mercosur, ab, und fordert die Bekämpfung der Geldwäsche, die Besteuerung von Superreichen und die Freilassung des investigativen Journalisten Julian Assange.
Den Kern des Programms des BSW bilden jedoch wirtschaftspolitische Vorstellungen, die darauf hinauslaufen, die unterschiedlichen Interessen von Kapitalist:innen einerseits, Lohnabhängigen andererseits hinter vorgeblichen gemeinsamen Interessen verschwinden zu lassen. So stellt das BSW einleitend fest: »Europa droht wirtschaftlich den Anschluss zu verlieren«, dem »Industriestandort Deutschlands droht der Verlust wichtiger Industrien und hunderttausender gut bezahlter Arbeitsplätze«. Die Botschaft: Geht es der Wirtschaft gut, dann geht es allen gut. Die Beschäftigten sollen sich um das Wohlergehen ihrer Firma sorgen, um ihre »gut bezahlten Arbeitsplätze« zu erhalten.
Krieg und nationale Interessen
Das BSW spricht sich für eine »Außenpolitik der friedlichen Konfliktbeilegung« aus und will den Ukraine-Krieg »auf dem Verhandlungsweg beenden«. In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um den Krieg in der Ukraine, der bereits Hunderttausende Tote und Verwundete gefordert hat, sollte jede Stimme, die sich für Frieden einsetzt, begrüßt werden. Aber ist das BSW eine politische Alternative für Menschen, die sich für Frieden einsetzen? Seine Ablehnung des Krieges speist sich wesentlich aus einer Betrachtung der nationalen, vorgeblich klassenübergreifenden, Interessen Deutschlands – so stellt das BSW beispielsweise fest, die EU-Wirtschaftssanktionen hätten der »Wirtschaft massiv geschadet und ihre Wettbewerbsfähigkeit verringert« und postuliert: »Wir brauchen Frieden in Europa auch, um unsere eigenen Interessen in der Welt zu fördern.« »Eigene Interessen« ist an dieser Stelle eine Umschreibung für »nationale Interessen«.
Was aber, wenn die deutsche Wirtschaft Krieg für notwendig erklärt, um beispielsweise Zugriff auf billige Rohstoffe zu sichern und so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten? Die Ablehnung des Kriegs darf sich nicht auf die Interessen der Herrschenden, der Wettbewerbsfähigkeit und der Kapitalverwertung stützen, sondern muss sich auf die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter, der einfachen Menschen beziehen, die sich dagegen wehren, im Streit der Herrschenden an die Front und in die Schützengräben geschickt zu werden.
Wagenknechts Frieden mit der Klassengesellschaft
Trotz aller teilweise fortschrittlichen Einzelforderungen ist die grundsätzliche Orientierung des BSW auf die Illusion gemeinsamer Interessen von Kapital und Arbeit gerichtet. Daraus ergibt sich eine Strategie der Klassenversöhnung und der Propagierung vorgeblicher nationaler Interessen. Eine solche Strategie ist nicht neu, sondern wird seit Langem ideologisch vom rechten Flügel der Sozialdemokratie vertreten. Es ist zudem eine Strategie, die viel Raum dafür lässt, um Zustimmung auch von ganz rechts außen zu werben.
Statt sich den Interessen der Wirtschaft und der Kapitalverwertung unterzuordnen, sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jedoch selbst für ihre eigenen Interessen eintreten und sich dazu gewerkschaftlich und politisch organisieren. Für sie bietet das Bündnis Sahra Wagenknecht keine politische Alternative.
Titelbild: film-rezensionen.de