Eine deutliche Mehrheit der Deutschen hält Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen für nicht gerechtfertigt. 87 Prozent der Befragten fordern vom Westen mehr Druck auf Israel zur Versorgung der Bevölkerung im Gazastreifen. Gleichzeitig finden diese Mehrheitsmeinungen in Deutschland zu wenig Ausdruck in Veranstaltungen zum Thema Palästina und den Massenmobilisierungen auf der Straße. Zwar gab es auch hierzulande beeindruckende Erfolge wie das Rückerkämpfen des Versammlungsrechtes und Protestmärsche von Zehntausenden. An Demonstrationen mit einer Million Teilnehmenden wie in britischen und US-amerikanischen Großstädten kam aber bislang keine deutsche Massendemo heran.
Die Umfrageergebnisse legen nahe, dass der Hintergrund für die im globalen Vergleich schwächere Mobilisierungskraft der Palästinasolidarität in Deutschland nicht die pro-israelische Überzeugung der Mehrheitsbevölkerung ist. Das Klima der Angst und Einschüchterung durch die Schwere des Antisemitismusvorwurf im deutschen Kontext bis hin zu Jobverlust und Rufmord, die staatliche Repression und medialen Schmutzkampagnen bieten eine überzeugendere Erklärung. Wie schaffen wir es unter solchen Umständen, dass sich auch mehr Deutsche aktiv für die Rechte der Palästinenser:innen einsetzen?
Palästinasolidarität schafft Selbstvertrauen
Um aus der Einschüchterung ausbrechen zu können, braucht es Gewissheit, dass wir viele sind und der Repression gegen Palästina-Aktivismus mit breitem Rückhalt begegnen. Es gibt zahlreiche Fragen, Bewegungen und Kämpfe, an die die Palästinasolidarität zur Verbreiterung ihrer Anliegen anknüpfen kann.
Der Kampf gegen Rassismus gehört bei der rassistischen Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und der medialen Hetze gegen “die Barbaren” zu den deutlichsten Anknüpfungspunkten. In der Friedensbewegung gibt es offensichtliche Gemeinsamkeiten hinsichtlich einer antiimperialistischen Ablehnung deutscher Waffenlieferungen an Israel. Der Kampf gegen Rechts muss nicht nur der AfD, sondern auch der israelischen Regierung gelten, deren Minister sich stolz als Faschisten bezeichnen. Mit einer Klima-Ikone wie Greta Thunberg und der Umweltvernichtung unter der israelischen Besatzung sind Bezüge zur größten Jugendbewegung der letzten Jahre möglich.
Neben der Verbindung mit Straßenbewegungen braucht die Palästinasolidarität eine Verankerung an Orten, wo Menschen ihren Alltag verbringen: in Betrieben, Schulen, Universitäten und Nachbarschaften. Lesekreise und Workshops sind hilfreich um die weit verbreitete Unsicherheit zum Thema mit mehr Wissen und guten Argumenten zu überwinden.
In Berufsgruppen wie der Pflege können wir Solidarität mit den Palästinenser:innen angesichts der humanitären Katastrophe und gezielten Vernichtung der Krankenhäuser in Gaza vermitteln. In der deutschen Rüstungsindustrie werden Waffen und Rüstungsgüter hergestellt, mit denen Israel in Gaza solche Kriegsverbrechen begeht. In Arbeitskämpfen und an Streikposten, aber auch in Diskussionen am Arbeitsplatz können wir über die deutlichen Verbindungen sprechen und zu Veranstaltungen, Demos und Aktionen einladen.
An Berliner Schulen gibt es Streit um die Broschüre “Mythos Israel 1948”. Tausende Lehrkräfte, Eltern und Schüler:innen unterzeichneten eine Unterschriftensammlung dagegen, dass Berliner Schulkindern pro-israelische Geschichtsverdrehung beigebracht wird. In NRW hat es für Entsetzen gesorgt, dass in offiziellen Schreiben empfohlen wurde, die Polizei auf Schulkinder zu hetzen, die Israels Völkermord in Gaza auch als Völkermord benennen. An Unis entsteht Protest gegen ein Hochschulgesetz, das unter anderem gegen die gestiegene Palästinasolidarität politische Exmatrikulationen ermöglichen soll.
Ein Angriff auf uns alle
Die Angriffe auf demokratische der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die gegen die Palästinasolidarität ins Feld geführt wurden, weiten sich in solchen Fällen auf weitere Einschränkungen, etwa der Studierendenrechte, aus. Wenn wir Palästina-Aktivismus mehrheitsfähiger machen wollen, können wir hieran zeigen, dass die Repression uns alle trifft und Solidarität notwendig ist. Erfolge gegen die unwissenschaftliche und politisch instrumentalisierbare Antisemitismus-definition der IHRA Kritik an Israel im Kulturbereich und gegen die Demoverbote zeigen, was breite Solidarität ermöglicht.
Über mehrheitsfähige Forderungen nach dem Ende der Waffenlieferungen und der Hungerblockade als Kriegswaffe gelingt es uns, auszugreifen und noch mehr Menschen zu erreichen. Viele sind schockiert vom Grauen in Gaza. Aber die Geschichte Palästinas und antizionistische Analysen kennen die meisten noch nicht. Die Unterstützung Israels durch arabische Regime wie Ägypten entgegen dem Willen ihrer Bevölkerung wird auch in Deutschland besprochen. Als Sozialismus von unten argumentieren für die zentrale Bedeutung der globalen Arbeiterklasse, die eine bessere Welt erkämpfen kann. Um die Palästina-solidarität auch in Deutschland weiter aus der Isolation zu holen, wollen wir in Aktion und Diskussion mit Beschäftigten und Aktiven treten.
Dieser Artikel ist ebenfalls als Flugblatt unter sozvu.org/material zu finden.
Titelbild: Besetzung gegen Besatzung