Agrarindustrie besteuern, statt anhaltende Konkurrenz für landwirtschaftliche Kleinbetriebe!

Der neueste Haushaltsbeschluss der Ampel-Regierung sieht weitreichende Subventionsstreichungen in der Landwirtschaft für 2024 vor. Der Aufstand nützt der Agrarindustrie und nicht den Kleinbetrieben, erklärt Simo Dorn

Mit dem Beschluss über den Haushalt für 2024 hat die Ampel-Regierung Kürzungen in verschiedensten Bereichen beschlossen, unter anderem bei der Agrardieselhilfe und bei der KFZ-Steuerbefreiung von Traktoren. Die Regierungskoalition plant hier also eine Einsparung bzw. Steuererhöhung für Landwirtinnen und Landwirte und setzt in ihrem Haushaltsplan hier eine Summe von etwa 900 Millionen Euro an. Diese Maßnahmen sind mittlerweile auf Grund des massiven Protestes in Teilen zurückgenommen worden. 

Dennoch, am Montag nach der Veröffentlichung des Haushaltsplans, den 18.12.2023, wurde Berlin von protestierenden Landwirt:innen mit ihren Traktoren teilweise lahmgelegt. Aus ganz Deutschland kamen 8.000-10.000 Bäuer:innen mit 3.000 Landmaschinen nach Berlin um ihren Unmut auf diese Entscheidung der Regierung kundzutun. Weiter bundesweite Proteste folgten in den Tagen darauf.

Worum geht es den Landwirt:innen mit den Protesten gegen die Entscheidungen dieser Regierung?

Zwischen Agrarindustrie und Kleinbetrieben

Seit Jahren ist in Deutschland die Rede vom Höfesterben. Die Anzahl kleinbäuerlicher Familienbetriebe in Deutschland sinkt stetig. 1990 gab es laut topagrar.com noch knapp 630.000 landwirtschaftliche Betriebe, 2023 sind es nur noch 254.000 – das entspricht einem Verlust von 62 Prozent.

Dieser Trend ist innerhalb der gesamten EU wiederzufinden. Im Durchschnitt gaben 30 Prozent aller Höfe auf und stellten ihre Produktion von Lebensmitteln ein. Gleichzeitig liegt die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Deutschland seit 1995 etwa konstant bei etwas über 16 Millionen Hektar. Das Ergebnis ist: Große Höfe fressen die Kleinen. Auf dem Markt vollzieht sich seit Jahrzehnten eine Monopolisierung und Konzentration der Lebensmittelproduktion in den Händen einiger weniger.

Was macht das Überleben der traditionellen kleinbäuerlichen Betriebe in Deutschland schon seit Jahren unattraktiv? 

In den letzten Jahren gab es massive Steigerung der Produktionskosten für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Hier sind etwa die dauernd steigenden Kosten durch Preiserhöhungen bei Produktionsmitteln, durch Düngemittel, Pflanzenschutzmittel und Diesel zu nennen. Diese Teuerungen haben sich durch die Corona-Krise, den Ukraine-Krieg und EU-Vorgaben noch beschleunigt. Gleichzeitig geraten die Betriebe auf dem globalisierten Markt zunehmend unter Konkurrenzdruck. Die Konkurrenz aus dem Ausland ist sehr stark und kann ihre Preise viel konkurrenzfähiger anbieten, ohne dabei Verluste einzufahren. Die Herstellung der Konkurrenz- und Expansionsfähigkeit ist der Hauptgrund für die Subventionierung des Agraarsektors duch die EU und die Bundesregierung. In vielen Ländern, aus denen z.B. Obst importiert wird (Polen, Portugal, Spanien), gelten andere  Anforderungen an Mindestlohn, Klima-, Umwelt- und Pflanzenschutz. Zwischen diesen Produktionsunterschieden können die vier Großkonzerne für den Einzelhandel von Lebensmitteln (Aldi, Lidl, Rewe, Edeka) die Marktsituation in Deutschland bestimmen.

Der Ampel-Haushalt reiht sich in Jahrzehnte kapitalistischer Profitlogik ein

In den andauernden Tarifrunden im Einzelhandel sieht man, wie hart diese Großkonzerne ihre Gewinne gegenüber ihren Angestellten oder Produzent:innen verteidigen. Landwirtinnen und Landwirte werden durch die beschriebene Konkurrenz untereinander und aus dem Ausland von den Konzernen mit immer niedrigeren Preisen abgefertigt. Das geht so weit, dass teilweise bis in das Frühjahr hinein gelagerte Äpfel am Ende in Biogasanlagen verbrannt werden, da dies rentabler ist als der Verkauf an jene Großkonzerne.

Auf Grund dieser Entwicklung in den letzten Jahren trifft die Landwirt:innen die Entscheidung der Bundesregierung schwer. Einerseits wird von Klima- und Umweltschutz geredet, gleichzeitig erhält die Bundeswehr und der Rüstungshaushalt eine nie dagewesene Erhöhung mit „Verfassungsrang”. Die Schäden, die Armeen und das kriegerische Treiben von Militarist:innen an Mensch, Natur und Klima begehen, kann in der Ukraine und in Gaza mit trauriger Eindringlichkeit gesehen werden. Die (mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbundene) Streichung der Agrardieselsubvention mit etwa 21 Cent Rückerstattung pro Liter und der Steuerfreiheit der landwirtschaftlichen Maschinen erfolgt nun auch noch unter dem Vorwand, das seien klimaschädliche Subventionen. Dabei ist zu sagen, dass die Landwirtschaft einer der wenigen Sektoren ist, der aktiv zu einer positiven CO2-Bilanz beiträgt und sich nicht wie viele andere Unternehmen von ihren Pflichten freikauft. 

Natürlich wird für den Anbau von Pflanzen und die Produktion von Lebensmitteln CO2 emittiert und dieser Ausstoß ist staatlich subventioniert, aber ein landwirtschaftlicher Hof ist kein Kohle- oder Rüstungskonzern, in dem die Emissionen eine reine Inwertsetzung von natürlichen Ressourcen darstellen. Landwirtschaftliche Arbeit beinhaltet Bodenpflege, Nützlingspflege, Schädlingskontrolle, Krankheitsüberwachung und vieles mehr. Wo Großkonzernen, die auf dem internationalen Markt agieren, die (lokale) Flora und Fauna lediglich als ein Renditeobjekt betrachten, sollten Landwirt:innen nachhaltig mit der Umwelt arbeiten, um den Fortbestand der Natur als auch ihren eigenen zu gewährleisten. Hierin ist wiederholt ersichtlich, dass es die Profitlogik der kapitalistischen Lebensmittelproduktion und die Marktmacht von Großkonzernen ist, die die Umwelt zu Grunde wirtschaften. Dekarbonierungspotentiale sind, trotz ihrer fortlaufenden Erforschung, innerhalb des Kapitalismus meist nicht wirksam umsetzbar, sondern werden zu leeren Phrasen auf zukünftige Technologien oder aus Profitgründen in andere Länder externalisiert – meist Länder des Globalen Südens. 

Die Konkurrenz des Marktes zahlen die Arbeiter:innen & Konsument:innen

Genau diese Orientierung auf Profite über wirksame Umweltschutzreformen ist den Landwirt:innen schon lange bekannt. Jahrelang wurden Biobetriebe gegenüber Betrieben integrierter Produktion (IP) einseitig stärker subventioniert unter dem Vorwand, sie seien klima- und umweltfreundlicher. Dies entbehrt jeglicher objektiver, wissenschaftlicher Grundlage und wird durch Regierungsvertreter:innen und Medien immer wieder verzerrt dargestellt. Tatsächlich emittieren Biobetriebe durch die öftere Nutzung ihrer Maschinendeutlich mehr CO2 und mit vielen Techniken, wie die manuelle Bodenbearbeitung oder dem Einsatz von Breitbandinsektiziden, tragen sie zusätzlich zum Rückgang von nützlichen Insekten in ihren Kulturen bei. Gleichzeitig führte die Stärkung von Biobetrieben durch die staatlichen Subventionen zu einem Wachstum der Bioanbauflächen, da bei einem Umstieg auf biologischen Anbau eine Ertragsminderung von bis zu 50 Prozent pro Hektar besteht, bei gleichzeitig höherem Ressourceneinsatz (Diesel). Ebenfalls sorgen diese Biolabel-Subventionen zu einer Schwächung der Branche. Durch „Billig Bio” bei Lidl und Aldi kommt es zu einer  Verringerung der einheimischen Versorgungskapazität bei gleichzeitig massiven Preiseinbußen für die Höfe.

In den aktuellen Protesten ist zum ersten Mal seit Jahren ein einheitliches und entschiedenes Vorgehen des Bauernverbandes erkennbar. Ein baldiges Abflachen der Proteste durch eine „Teile und Herrsche“-Strategiewie zwischen Bio- und IP-Betrieben oder Groß- und Kleingrundbesitzer:innen wird zunehmend schwieriger, falls überhaupt noch möglich. Von den Kürzungen sind und bleiben alle Landwirt:innen betroffen. Während die einen ihre Profite in Gefahr sehen, sehen andere Höfe ihre Existenz aufs Spiel gesetzt.

Solidarische Lebensmittelproduktion statt reaktionärer Protest

Die aktuelle Front der Groß- und Kleinbäuerinnen und -bauern gegenüber dem Staat wird medial fälschlicherweise als „Querfront” und strukturell als „rechtsoffen” bezeichnet und mit Aufmärschen von Querdenkern während der Corona-Krise verglichen. Begünstigt werden solche Argumente durch das Auftreten der AfD bei diesen Protesten. Die im Kern faschistische Partei, die sich in ihrem Programm für eine Marktliberalisierung und die Abschaffung jeglicher Subventionen positioniert, nutzt die aktuell aufkommende Straßenbewegung, um Landwirt:innen vor ihren rechtsradikalen Karren zu spannen.

Befeuert wird dieses Querfrontnarrativ durch Parolen wie „Die Ampel muss weg”, die an Pegidas „Merkel muss weg” erinnern, oder Galgen, an denen Verkehrsampeln aufgehängt wurden. Beteiligungen der nationalistischen und antisemitischen Landvolkbewegung (siehe Bild: Pflugscharen zu Schwertern – das Symbol der reaktionären Landvolkbewegung von 1929-30. Die Farben des Symbols Schwarz-Weiß-Rot waren die Farben der Gegner:innen der Weimarer Republik.) an Protesten als auch Demonstrationen, die von bekannten Neofaschisten organisiert wurden, zeigen die reaktionäre Kräfte, die sich punktuell Bahn gebrochen haben. Dies spiegelt aber nicht die gesamte Breite an Protesten wider, die stattfanden.

Pflugscharen zu Schwertern – das Symbol der reaktionären Landvolkbewegung von 1929-30. Die Farben des Symbols Schwarz-Weiß-Rot waren die Farben der Gegner:innen der Weimarer Republik

Es gab die Bestrebungen, die Ampel-Regierung durch den Protest der Bäuerinnen und Bauern von rechts zu Fall zu bringen und einen Regierungswechsel herbeizuführe. Auf einer Großkundgebung am 18.12. vor dem Brandenburger Tor drohte Rukwied mit Protesten „wie es das Land noch nicht erlebt hat.” und fügt hinzu, es gehe „schlichtweg um die Zukunft unseres Deutschlands [… und] wenn wir die nicht bekommen, dann brauchen wir einen Regierungswechsel.” Von solchen Vorhaben und Äußerungen wurde wieder abgerückt.

Die Macht der Großkonzerne breitet sich aus

Großkonzerne des Lebensmitteleinzelhandel wie Aldi und Lidl kauften 2020 große Flächen von über 1.000 Hektar Land in Ostdeutschland, um ihre Profite langfristig gegenüber den Interessen der erzeugenden Landwirt:innen, Angestellten und Verbraucher:innen zu sichern. Wenn Land nur noch an jene Landwirt:innen verpachtet wird, die zu entsprechenden Lohnstrukturen zu arbeiten bereit sind, dann werden wir uns einer zunehmenden Prekarisierung und Monopolisierung der Lebensmittelproduktion gegenüber sehen. Viele Bäuerinnen und Bauern sind Grundbesitzer:innen. Im stetigen Konkurrenzkampf, der von der Marktmacht der Großkonzerne verschärft wird, gehören sie aber zu den Ausgebeuteten des Systems. Unter solchen Entwicklungen werden Höfe weiter sterben und viele Landwirt:innen vollständig untergehen. Sie werden ihr Handwerk unter Umständen weiterführen können, aber zunehmend in Lohnabhängigkeitsstrukturen von Aldi und Co. Dies ist heute bereits in Form der Saisonarbeiter:innen aus Osteuropa der Fall und wird sich weiter ausbreiten und Landwirt:innen selbst treffen. Die Prekarisierung über die Scheinselbstständigkeit der Bäuer:innenschaft und ihr vollständiger Übergang in die Arbeiter:innenklasse wird auf dem Rücken der Bäuerinnen und Bauern selbst, aber auch auf Kosten der Lebensmittelsicherheit der breiten Gesellschaft durchgeführt werden – während die Kapitalisten die Profite einfahren.

Die Agrarindustrie kann nur durch die Arbeiter:innenklasse übernommen werden

Anders als bei Arbeiter:innen sind es bei Landwirt:innen nicht die Lohnabhängigkeitsverhältnisse, sondern die Konkurrenzverhältnisse des Marktes, die ihre Ausbeutung bestimmen. So darf es also nicht unser Ziel sein, für einen ausgeglichenen Wettbewerb oder für faire Konkurrenz zu plädieren, sondern wir müssen das Profitsystem der Marktwirtschaft als Ganzes in Frage stellen. Nur in einer kollektivierten Landwirtschaft, in der Boden und Produktionsmittel all denen gehören, die auf ihm arbeiten und die davon abhängig sind, werden wir die demokratische Kontrolle über die Produktionsbedingungen und den Schutz der Umwelt und des Klimas auch für zukünftige Generationen haben – dies gilt es auch gegen den aktuell geschlossen auftretenden Bauernverband durchzusetzen. Der gemeinsame Feind in Form der Großkonzerne kann nicht von der Bäuer:innenschaft alleine besiegt werden. Die AfD als im Kern faschistische Partei mit ihren marktliberalen Positionen im Sinne der Großkonzerne muss gemeinsam bekämpft und daran gehindert werden, Einfluss auf die Proteste zu nehmen. Arbeiter:innen, Gewerkschafter:innen, Landwirt:innen und Antifaschist:innen müssen hier an einem Strang gegen die AfD ziehen.

Es muss uns allen um die Sicherstellung einer solidarischen Lebensmittelproduktion und -versorgung gehen, von der sowohl die Erzeuger:innen als auch die breite Bevölkerung leben können. 

Nein zum Profitsystem von Aldi, Lidl, Rewe, Edeka und Co.


Titelbild: H-stt