Die Schuldenbremse ist aus aktuellen Diskussionen nicht wegzudenken. Der Streit um die Schuldenbremse ist jedoch ein Scheinkonflikt. Dient es den herrschenden Kapitalinteressen, wird die Schuldenbremse eingehalten, tut sie das nicht, wird sie außer Kraft gesetzt. Thomas Walter zu Schulden und Schuldenbremse
Was ist die Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse soll der Regierung eine Höchstgrenze vorgeben, bis zu der sie sich in einem Jahr neu oder zusätzlich verschulden darf. Da die Neuverschuldung die Lücke zwischen Staatsausgaben und Staatseinnahmen abdeckt, sind so auch den Staatsausgaben Grenzen gesetzt.
Mit der Gründung der Europäischen Union (EU) wurden auch die sogenannten „Maastricht-Kriterien“ beschlossen. Diese enthalten bereits Obergrenzen für die Staatsverschuldung. Für die jährliche Neuverschuldung wird eine Obergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angegeben, für die Staatsschuld insgesamt, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hat, eine Obergrenze von 60 Prozent des BIP. Das BIP ist ein Maß für die Wirtschaftsleistung eines Landes.
Grundgesetzänderung zur Verschärfung der Schuldengrenze
Obwohl diese Grenzen auch von Deutschland häufig nicht eingehalten wurden, legte Deutschland 2009 noch eins drauf. Als Obergrenze für Schulden lässt diese neue Schuldenbremse jetzt nur noch 0,35 Prozent für die staatliche Bundesebene zu. Den Ländern ist eine Neuverschuldung nicht mehr erlaubt. Die Schuldenbremse wurde Teil des Grundgesetzes. Sie wurde mit zwei Dritteln des Bundestages und des Bundesrates beschlossen.
Warum wird gerade jetzt um die Schuldenbremse gestritten?
Die Schuldenbremse hat Hintertürchen. Sie kann in Fällen von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen ausgesetzt werden. So hatte die Bundesregierung angesichts der Corona-Pandemie Kredite eingeplant, die über die durch die Schuldenbremse gesetzte Grenze hinausgingen. Von diesen Kreditermächtigungen wurden aber 60 Mrd. Euro nicht genutzt. Diese Milliarden wurden dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) zugeschlagen. Dagegen haben Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beim Bundesverfassungsgericht geklagt.
Am 15. November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht dann entschieden. Die bisher ungenutzten Kredite dürfen nicht als zukünftige Verschuldungsmöglichkeit einem anderen Fonds, dem KTF, zugeteilt werden. Dem KTF fehlen nun 60 Mrd. Euro Verschuldungsmöglichkeit – also die Möglichkeit, Staatsausgaben über diesen Fond durch Schulden zu finanzieren.
Gespart wird bei Sozialem und Klimaschutz
So ist eine Haushaltslücke in Bezug auf die Ausgabepläne für den Bundeshaushalt der Bundesregierung entstanden, die durch Einsparungen geschlossen werden soll. Und es wird Druck aufgebaut, um bei den Sozialausgaben zu sparen. Hier werden Klimaschutz und Sozialstaat gegeneinandergestellt, eben weil es Kapitalinteressen dient und nicht, weil diese zwei Felder sich gegenseitig ausschließen.
Für 2024 gibt das Bundesfinanzministerium (BMF) jetzt eine Haushaltslücke von 30 Mrd. Euro an. 13 Mrd. Euro davon sollen beim KTF eingespart werden. So hat Bundesfinanzminister Christian Lindner ausgeschlossen, dass in dieser Wahlperiode das Klimageld eingeführt wird. Es sollte für die privaten Haushalte höhere Kosten beim Tanken und Heizen ausgleichen.
Inzwischen sind 6,3 Milliarden Euro aufgetaucht, die vom letzten Haushaltsjahr 2023 übriggeblieben sind. Daraus sollen jetzt die Bundeshilfen wegen der Flutkatastrophe im Ahrtal in Höhe von 2,7 Mrd. Euro finanziert werden. Auf eine Forderung an die Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 1,5 Mrd. Euro will die Bundesregierung in diesem Jahr 2024 verzichten.
Beim Kernhaushalt, also Bundeshaushalt ohne Sondervermögen, fehlen dann noch 17 Mrd. Euro. Das BMF meint, dass davon fünf Mrd. Euro eigentlich schon da sind, so dass noch eine Lücke von 12 Mrd. Euro besteht. Um diese Lücke zu schließen, muss der Sozialstaat ran. Unter anderem sollen die Bundeszuschüsse für die Rentenversicherung jährlich um 600 Millionen Euro gesenkt werden. Die Deutsche Rentenversicherung protestiert. Der Bund bediene sich bei der Rentenversicherung, deswegen drohen höhere Beiträge für die Lohnabhängigen. Der derzeitige Beitragssatz beträgt 18,6 Prozent, die sich jeweils zur Hälfte auf sogenannte Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge aufteilen. Bei den Beamt:innen („Beamtenalimentation“) wird um 0,15 Mrd. Euro nach unten „reformiert“.
Ausnahmen für Aufrüstung und imperiale Interessen
Es zeigt sich hier, dass immer dann auf die Schuldenbremse und ähnliche Maßnahmen gepocht wird, wenn sich daraus ein Zwang zum „Sparen“ für den Sozialstaat konstruieren lässt. Ausgaben, die im Interesse des deutschen Imperialismus sind, werden hingegen von der Schuldenbremse ausgenommen. So bleibt das „Sondervermögen Bundeswehr“ unangetastet. Der Bundestag hat dieses Sondervermögen durch das Einschreiben ins Grundgesetz von der Schuldenbremse ausgenommen. Auch will die Bundesregierung 2024 wieder die Schuldenbremse aussetzen, wenn sie an die Ukraine mehr zahlen zu müssen glaubt und das dann über Schulden finanziert werden soll.
Wie haben sich die Staatsschulden insgesamt entwickelt?
Die Klage der CDU/CSU reiht sich ein in die andauernde allgemeine Kritik rechter Ökonom:innen und Politiker:innen an staatlichen Schulden. Trotz jahrzehntelanger weltweiter konservativer Kritik an zu hohen Staatsschulden sind die Staatsschulden aber im Vergleich zum BIP viel höher als noch in den 60er Jahren. Die BRD hatte damals eine Staatsschuldenquote (Schulden im Verhältnis zum BIP) von 20 Prozent. Heute sind es über 60 Prozent. Auch in den USA sind die Staatsschulden gestiegen. Sie betragen dort rund 100 Prozent des BIP. Damit ist die US-Staatsverschuldung wieder bei dem Rekordwert angekommen, den sie während des Zweiten Weltkrieges erreicht hatte.
Während auf der einen Seite die Staatsschulden stiegen, wuchs auf der anderen Seite das BIP immer schwächer. Der Staat versuchte, sich den regelmäßig wiederkehrenden Krisen entgegen zu stemmen. Er erhöhte deshalb die Staatsausgaben, die über Schulden finanziert wurden. Doch so richtig erholte sich der Kapitalismus nach den Krisen nicht, auch nicht nach der Finanzkrise 2007-2009. Dem Staat fehlten während der schwachen Wirtschaftsaufschwünge die Steuereinnahmen, die er für einen Abbau der Staatsverschuldung gebraucht hätte. Im langfristigen Trend stieg also die Staatsverschuldung in den meisten wichtigen kapitalistischen Staaten stärker als das BIP. Weniger kritisiert wird dabei, dass auch die Verschuldung der Unternehmen gestiegen ist. Hier handelt es sich um „private“ Entscheidungen.
Wer leiht dem Staat Geld?
Das sind die Kapitalist:innen. Sie zählen statistisch zu den „Privaten Haushalten“, zu denen auch alle Arbeitnehmer:innenhaushalte zählen. Nach Berechnungen des Berliner Instituts DIW entfällt vom Vermögen in Deutschland ein Drittel auf die „Mittelschicht“ (40 Prozent der Haushalte), ein weiteres Drittel auf die „Oberschicht“ (9 Prozent) und das letzte Drittel auf die „Top-Vermögenden“ (1 Prozent der Haushalte). Diese reichen Kapitalist:innen legen ihr Geld bei inländischen Unternehmen an. Das erscheint bei den Unternehmen dann als Schulden gegenüber den Geldanlegern. Sie legen ihr Geld auch im Ausland an, was dann als Schulden des Auslands gegenüber der deutschen Wirtschaft erscheint. Schließlich leihen sie ihr Geld auch dem Staat. Das Gegenstück sind die Schulden des Staates.
Gefährlich wird Staatsverschuldung, wenn sie ausländischem Kapital geschuldet ist. Das wurde nach der Weltfinanzkrise 2007-2009 Griechenland zum Verhängnis. Wegen der Krise geriet der griechische Staat in eine Staatsschuldenkrise. Er konnte seine Kredite an ausländisches Kapital nicht mehr zurückzahlen. Der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zwang Griechenland ein brutales Sparprogramm auf, um so viel wie möglich an europäischem Kapital zu retten. Im Ergebnis stiegen z.B. Kindersterblichkeit und Selbstmorde in Griechenland.
Wie sehen linke Ökonom:innen und Politiker:innen Staatsschulden?
Linke Ökonom:innen und Politiker:innen sehen in der Aufnahme von Staatsschulden eine Möglichkeit, die Krisen des Kapitalismus zu umschiffen. Ihr Vorbild ist der englische Ökonom John Maynard Keynes, der in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts wirkte. Krisenbekämpfung hieß für ihn, dass der Staat seine Ausgaben steigert und diese mit Schulden finanziert. So geschah es in den USA unter Präsident Franklin D. Roosevelt in den 30er Jahren nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise von 1929. Tatsächlich ging aber die hohe Arbeitslosigkeit zunächst nicht zurück. Erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges erreichten die USA Vollbeschäftigung, als die USA die Staatsausgaben und schulden noch einmal kräftig ausweiteten, um Rüstung und Krieg zu finanzieren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erholten sich die Volkswirtschaften allmählich vom Krieg. Deutschland entledigte sich seiner Staatsschulden 1948 durch eine Währungsreform. Damals wurden Bargeld und Sparguthaben im Verhältnis 100 alte Reichsmark zu 6,50 D-Mark umgestellt. Bei solchen „Währungsreformen”, wie etwa auch nach dem Ersten Weltkrieg, werden Schulden und damit auch Ersparnisse gestrichen, während das Vermögen des Kapitals, das es in Produktionsstätten angelegt hat, erhalten bleibt.
Zunächst waren nach dem Zweiten Weltkrieg die wirtschaftlichen Wachstumsraten hoch. Dies wurde nicht zuletzt der von Keynes gelehrten Wirtschaftspolitik zugeschrieben. Keynes selbst starb 1946 kurz nach dem Krieg.
Die ab den 70er Jahren heftiger werdenden Wirtschaftskrisen waren der Testfall für den Keynesianismus. Doch die steigende Staatsverschuldung konnte allenfalls zu einem besseren Krisenmanagement beitragen. Die Aufschwünge nach den Krisen waren zu schwach, als dass die Steuereinnahmen für einen Schuldenabbau gereicht hätten. Weltweit sind die wirtschaftlichen Wachstumsraten niedrig. Die Lage hat sich aufgrund von Klimawandel, Pandemie sowie den Kriegen in der Ukraine und in Nahost noch verschlimmert.
Reichtum muss besteuert werden
Wenn man vor der Wahl steht, Staatsschulden zu senken, indem man die staatlichen sozialen Leistungen senkt, oder die Staatsschulden und die sozialen Leistungen zu belassen, dann werden sich Linke für die zweite Möglichkeit entscheiden. Es gibt aber keine „linken” Schulden. Wer keine Staatsschulden haben will, muss die Reichen besteuern. Die Vermögenssteuer sollte wieder eingeführt und die Erbschaftssteuer bei den Reichen erhöht werden.
Schon Engels wies 1873 in „Zur Wohnungsfrage“ darauf hin, dass die Staatsschulden nicht die Arbeiter:innen gemacht haben. Die Gläubiger der Staatsschulden sind die Reichen, die daraus sichere Zinseinnahmen gewinnen. Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist gibt das Geld für eigene Zwecke aus, die nicht den Arbeiter:innen dienen. Oft werden mit Staatsschulden Aufrüstung oder die Rettung kapitalistischer Vermögen finanziert – so auch in der Weltfinanzkrise 2007-2009.
Die Arbeiter:innenklasse muss eigenständig für ihre Arbeitsbedingungen und sozialen Leistungen kämpfen. Die Frage der Staatsschulden ist da als solche eher Nebensache, wenn der Staat sich gezwungen sieht, im Interesse der Arbeitenden zu handeln, weil der politische Preis andernfalls zu groß wäre. Marx und Engels schrieben 1850: „…wenn die Demokraten die Regulierung der Staatsschulden verlangen, verlangen die Arbeiter den Staatsbankerott.“
Titelbild: Roy Zuo